Rubens, der barocke Remix-Meister
Es ist völlig okay, sich von Rubens überfordert zu fühlen. Man muss nicht so tun, als wären die Fleischberge, die einem da von den Wänden des Kunsthistorischen Museums (KHM) entgegenquellen, das Anmutigste, was man je zu Gesicht bekam. Man darf auch sagen, dass das völlig unrealistisch verzerrte Christusgesicht, neben dem die Jungfrau Maria ein glitzerndes Tränchen auf ihren Mantel kullern lässt, massiv auf die Schmalztube drückt.
Nein, dass Rubens wirklich klar und deutlich durch die Jahrhunderte zu uns sprechen würde, ist übertrieben.
Deshalb ist auch der Ansatz der KHM-Schau, die Besucher trotz aller Bildgewalt eher beim Intellekt zu packen, gut gewählt: Der Weg durch die mit 120 Exponaten äußerst umfassende Ausstellung gleicht einer Abfolge von Bilderrätseln, man muss Motive erkennen, vergleichen, verfolgen. Dabei offenbaren sich am Ende künstlerische Methoden, die der heutigen Zeit doch erstaunlich nahestehen.
Ein kleines Skizzenblatt gleich am Eingang der Schau weist den Weg: Rubens schnitt hier mehrere Zeichnungen kämpfender nackter Männer aus und klebte sie auf einem Blatt zusammen.
Ein enormer Bildfundus
Antike Skulpturen, die Rubens während seines Italienaufenthalts teils aus ungewöhnlichen Perspektiven abzeichnete, tauchen in ganz anderen Sinnzusammenhängen in Gemälden auf, ebenso Elemente aus Buchillustrationen, Münzen oder Gemälden anderer Meister.
Das KHM kann hier aufgrund seiner eigenen Sammlung tolle Vergleiche inszenieren, scheute aber auch keine Mühen, um namhafte Referenzwerke heranzuschaffen: So hämmert etwa der Gott Vulkan in einem Tintoretto-Gemälde aus Venedig neben einer Figur, die im riesigen Altarbild "Die Wunder des Hl. Franz Xaver" in exakt derselbem Pose einen dunkelhäutigen Mann stützt.
Um diese Art der Bildfindung zu beschreiben, bietet es sich an, Begriffe wie "Sampling" und "Remixing" aus der DJ-Kultur der Gegenwart zu entlehnen. Tatsächlich bietet die Ausstellung Anlass, über unser Verständnis von Originalität und geistigem Eigentum nachzudenken – die Vorstellung eines Künstlergenies, das seine Ideen gewissermaßen aus der Luft holt, entpuppt sich dabei als eine recht junge Erfindung mit Ablaufdatum.
Der Umstand, dass Rubens viel Arbeit von Gehilfen erledigen ließ, lässt dazu den Begriff der Eigenhändigkeit verschwimmen – der Vergleich mit heutigen Starkünstlern wie Jeff Koons, den Gemäldegalerie-Chef Stefan Weppelmann anstellt, erscheint da plausibel.
Es wäre vermessen zu behaupten, dass sich dieses Netz aus Bezügen dem Laien erschließt – tatsächlich kiefeln auch Experten nach wie vor an der Deutung so mancher Bildkonstellationen.
Der Ausstellung gelingt es immerhin, Spuren zum Verständnis mancher Gemälde wie der "Frierenden Venus" oder dem berühmten "Haupt der Medusa" zu legen.
Kunst über Kunst
Doch statt postmoderner Collagen mit Fußnoten kreierte Rubens eben jene überbordenden Bilder, auf denen sein Ruhm aufbaut: Mit der Lebendigkeit der Körper und der Farbe des Fleisches suchte er die antike Skulptur zu übertreffen, die "Action" seiner vor Figuren wimmelnden Bilder überwucherte die Ruhe und Ordnung der literarischen und künstlerischen Vorbilder. Dass in diesem rauschhaften Ineinander mitunter kein stimmiger Bildraum – kein Vorne, kein Hinten und keine Mitte – zu erkennen ist, gehört zum Konzept. Es ist, wie gesagt, okay, sich davon überfordert zu fühlen. Doch es wäre ein Versäumnis, nicht zumindest die Bekanntschaft mit diesem Werk zu suchen. (Bis 21.1.2018)
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