Ruben Östlund: "Alle wollen immer die Affen sehen"

Terry Notary (re.) schockt Dinner-Gäste: "The Square"
Der schwedische Regisseur Ruben Östlund gewann für seine Satire "The Square" die Goldene Palme.

Einer der besten Filme des heurigen Jahres stammt von Ruben Östlund: Für "The Square" (Kinostart: Freitag), einer beißenden Satire auf die Stockholmer Kunstszene, gewann der Schweden in Cannes die Goldene Palme. Bereits mit "Höhere Gewalt" – über einen Vater, der bei Lawinengefahr sein Handy rettet, nicht aber seine Familie – lieferte Östlund eine komisch-ironische Geschlechteranalyse. Mit "The Square" reißt er ungleich mehr Themen auf: Christian, fescher Chef-Kurator eines Kunstmuseums in Stockholm, kann den Diebstahl seines Handys nicht auf sich sitzen lassen. Aus dem liberalen, kunstsinnigen Karrieristen wird zunehmend ein gereizter Wutbürger. Die Treffsicherheit, mit der Östlund auf die Weichteile einer zunehmend misanthropen Gesellschaft abzielt, ist maximal.

Ein Gespräch mit dem Regisseur über Affen, Menschen und Kondome.

KURIER: Herr Östlund, eine Ihrer Figuren in "The Square" lebt mit einem Schimpansen zusammen. Was gefällt Ihnen eigentlich so gut an Affen?

Ruben Östlund: Das merkt man doch schon, wenn man in den Tiergarten geht: Alle wollen immer die Affen sehen! Was ich an ihnen so interessant finde, ist, dass sie wie wir Menschen sind – nur ohne unsere zivilisatorische Seite. Sie folgen ihren Instinkten und Wünschen und genieren sich nicht dafür. Anhand von Affen kann man gut über menschliches Verhalten nachdenken. Außerdem sollte wir nicht vergessen, dass wir selbst auch Tiere sind. Beispielsweise reagieren wir oft wie verletzte Tiere und können uns unser eigenes Verhalten nicht erklären. Dieser Konflikt zwischen unseren zivilisatorischen Fähigkeiten und unseren Instinkten ist sehr interessant. Der Affe bringt das auf den Punkt.

"The Square" beginnt mit einem Diebstahl. Was hat Sie inspiriert?

Es begann schon 2011. Ich habe an einem Film mit dem Titel "Play" gearbeitet und studierte dazu die Polizeiakten über Buben, die in einer Shopping-Mall mitten im Zentrum von Göteborg andere Buben ausraubten. Das alles geschah praktisch vor den Augen der Erwachsenen, doch kaum jemals hat sich einer eingemischt. Ich habe das meinem Vater erzählt und der meinte, als er ein Kind in den 50er-Jahren war, hätten ihm seine Eltern ein Namensschild mit seiner Adresse um den Hals gehängt und ihn alleine zum Spielen geschickt. Damals ging man davon aus, dass andere Erwachsene deinem Kind helfen, wenn es Probleme bekommt. Aber wenn ich mir anschaue, wie ich heute meine Kinder erziehe – andere Erwachsene werden eher als potenzielle Gefahr eingestuft. In unserer skandinavischen Gesellschaft herrscht ein Mangel an Vertrauen.

Aber "The Square" war ja ursprünglich ein Kunstprojekt?

Genau. Wir hatten die Idee, im öffentlichen Raum einen symbolischen Platz zu markieren. Innerhalb dessen Grenzen war man dazu aufgefordert, Menschen seine Hilfe anzubieten. Es ging darum, den "Zuschauereffekt" zu durchbrechen, bei dem sich niemand für den anderen verantwortlich fühlt. Der Platz soll uns an unsere humanistischen Werte erinnern – und zwar jenseits von Religion und Politik. Die Frage, die mich im Film beschäftigt hat, lautete: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wo fängt unsere Verantwortung an? Wie verhalten wir uns beispielsweise gegenüber Bettlern? Reagieren wir individuell auf sie oder finden wir, dass sie ein gesellschaftliches Problem darstellen? Das sind komplexe Fragen.

Apropos Mangel an Vertrauen: Ihre Hauptfigur Christian beginnt nach einem One-Night-Stand mit seiner Partnerin um das Kondom zu streiten. Samenraub steht im Raum. Wie sind Sie auf diese Szene gekommen?

Das ist einem Freund von mir passiert. Es ist schwer, nicht zu lachen, wenn man sich das vorstellt. In der Szene in "The Square" bleibt unklar, ob sich Christian den versuchten "Raub" nur einbildet oder nicht. Aber Elisabeth Moss, die seine Partnerin spielt, hält die Situation in wunderbarer Ambivalenz.

Ruben Östlund: "Alle wollen immer die Affen sehen"
Interview Regisseur Ruben Östlund: The Square
Sind Sie eigentlich jemand, der Vertrauen in die Menschen hat?

Ja. Aber natürlich hängt das auch von den Situationen ab. Wenn man heute auf die Straße geht, will permanent jemand etwas – vom Crowdfunder bis zum Verkäufer. Aber insgesamt habe ich großes Vertrauen in meine Mitbürger.

Manche Leute haben sich darüber geärgert, dass Sie sich über die Kunstszene lustig machen.

Ja, aber ehrlich gesagt, hat die Kunstszene manchmal auch etwas Lächerliches. Da gibt es oft keine Verbindung zwischen dem, was sich zwischen den Museumsmauern und der Welt rundherum abspielt. Allerdings hätte ich genauso gut eine Satire auf die Film-Welt machen können. Durch das Kunstprojekt lag aber die Kunstwelt näher. Außerdem will ich mit meinen Filmen Veränderungen bewirken. Ich glaube, deswegen versuche ich immer etwas zu finden, worüber ich eine Satire machen kann.

Ist "The Square" eine Satire auf politische Korrektheit?

Nun, die Dänen und Norweger finden ja, dass wir Schweden in einer politisch korrekten Hölle leben – besonders, wenn es um Feminismus oder Gleichbehandlung von Ethnien geht. Manchmal kommt es da auch zu Überreaktionen. Aber ich habe kein Problem mit politischer Korrektheit. Und ich finde nicht, dass "The Square" eine Satire darauf ist.

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