Zum Apfelschuss setzt Tell die Brille auf

Berührend: Tell (Michael Volle) und sein Sohn (Evgeniya Sotnikova)
Kritik: Rossinis "Guillaume Tell" in München.

Die größte Konkurrenz ist dem Gesamtkunstwerk Oper über die Jahre in der Bildsprache erwachsen: Im Vergleich mit den hochpolierten Filmprodukten kann Bühnengeschehen oft verheerend altmodisch aussehen.

Manchmal aber zeigt die Opernmaschine noch deutlich, welche Bildermacht sie hat; so geschehen bei den Opernfestspielen in München. Rossinis "Guillaume Tell" kämpfte da unter riesigen, unter der Decke hängenden Stahlrohren gegen die Habsburger. Und diese Rohre waren die Helden des Abends: Scheinbar schwerelos fuhren sie auf und nieder, wurden so zum wütenden Gewittersturm und zu mitleidlos herabsinkenden Instrumenten der Unterdrückung. Eine optische Wucht (Bühne: Florian Lösche), die der Produktion an der Bayerischen Staatsoper in anderen Bereichen aber stark abging.

Wirtschaftswunder

Manche gute Idee wurde verspielt: Tell (Michael Volle in einem hervorragenden Rollendebüt) ist hier kein strahlender Held. Sondern, viel menschlicher, ein renitenter Spießer im Pullunder mit 50er-Jahre-Wirtschaftswunder-Muster. Der rebelliert nicht nur aus Patriotismus, sondern auch, weil ihn sein Alltag so lange genervt hat, dass er zum Zyniker im Dauerwiderspruch vertrocknet ist. Toll gelöst auch die Szene mit dem Apfel: Tell setzt sich die Brille auf, zielt aufs Publikum, der Apfel zerplatzt, der Vorhang fällt. Das funktioniert, aber: Ordentlichen Widerspruch erntete letztlich der junge Regisseur Antú Romero Nunes (der 2015 am Akademietheater "Die Macht der Finsternis" von Leo Tolstoi inszeniert) für seine erste Opernregie. Zum Buh-Gebrüll gab es aber auch wieder Gegenstimmen in Form demonstrativen Applauses.

Beides macht aus zu Wenigem zu Viel. Denn eigentlich war die Regie, bis auf ein paar hübsche Einfälle, kaum mehr als der jüngste, recht verdünnte Aufguss dessen, was außer auf der Opernbühne niemanden mehr aufregt. Ein paar Maschinengewehre und Uniformen, hineingestreut in eine konventionelle Personenführung. Eigentlich bräuchte man einen guten Grund, um das auf die Bühne zu bringen. Der aber fehlt. Zu vielen Momenten ist dem Regisseur nichts eingefallen.

Gestrichen

Ordentlich umgerührt und gestrichen wurde auch, zum Missfallen vieler, bei der Musik (die Ouvertüre gab es erst nach der Pause). Dirigent Dan Ettinger erntete wohl auch dafür Widerspruch.

Dennoch blieb genügend Gelegenheit für Sängerkunst: Umjubelt Bryan Hymel (Arnold), Marina Rebeka als Mathilde und Evgeniya Sotnikova als Jemmy. Günther Groissböck war ein hervorragender, fieser Gessler.

KURIER-Wertung:

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