Roger Waters: Die Weltgerichtsshow

APA14280218 - 23082013 - WIEN - ÖSTERREICH: Der Kinder Chor während des Konzertes "The Wall Live 2013" am Freitag, 23. August 2013 in Wien. APA-FOTO: HERBERT P. OCZERET
Roger Waters begeisterte im Wiener Happel-Stadion mit „The Wall“.

Nein, normales Konzert war das keines. Zugegeben, es hat ausgesehen wie ein normales Konzert. Nein, besser: Es hat ausgesehen wie ein unglaublich aufwendiges, grandios klingendes, einzigartig durchchoreografiertes Konzert. Aber es war keines.

Denn Musik ist für Roger Waters, Ex-Bassist der Kultband Pink Floyd, Nebensache. Der Mann will – ja, das war im Pop einst so – anprangern. Diesen Anspruch hat dem einstigen Krisenherdmensch die gute Laune des Alters nicht verdorben. Pathos ist ihm kein Schimpfwort, und der Ernst ist ebenso heilig wie der Zorn.

Das Vehikel: „The Wall“ (1979), meistverkauftes Doppelalbum der Geschichte.

„The Wall“ ist ein eigenartiges Tier im Rockzoo: Ein superplakatives, humorbefreites Leiden an allen Übeln dieser Welt, von der pubertären Sexangst über die politischen Wahnsinnigkeiten bis zum schwindenden Haaransatz.

Aus der überdimensionalen Weltgerichtsshow, mit der Waters also am Freitagabend in Wien Station machte, geht keiner ungeschoren raus. Und wenn, dann hat er etwas nicht mitbekommen: „The Wall“ ist auch ein Frontalangriff auf das Publikum, geboren aus der Abscheu vor der Riesen-Konzertmaschine, zu der nicht zuletzt Pink Floyd den Rock zuvor gemacht hatten.

Kreischend

Bei einem unheimlichen Popreichsparteitag, mit schwarz-roten Flaggen, ebensolchen Armbinden am Ledermantel und Megafongequietsche, rechnet der kreischende Waters vor, wie nahe das popkulturelle Fantum dran ist an den Mechanismen der politischen Ideologie. Hirn aus, Arme hoch, und mitschreien, wenn der Mann auf der Bühne brüllt – das funktioniert beim Bieberjustin ebenso wie beim McCartneypaul. Und auch die Fans im Happelstadion tappten allzu willig in die Begeisterungsfalle.
Was haben wir abgetanzt zum Song über die Minderheitenermordung!

Da hieße es eigentlich aufpassen, mitdenken, widersprechen (insofern ist die vor dem Konzert aufgekeimte Antisemitismus-Diskussion auch ein Schlittern auf diesem ästhetischen Glatteis, auf das hier geführt wird).

Aber das Massenwohlgefühl ist halt gnadenlos, so wie das störend gebliebene Licht über den Stadion-Sitzplätzen. Das ließ uns gemeinerweise nicht einmal bei „Comfortably Numb“ vergessen, was aus uns geworden ist: Erwachsene Männer in Pop-T-Shirts, die auf Mauern starren. Längst sind die einst brennenden Herzens mitempfundenen großen Tragödien der Rockoper den kleinen Alltagsunwohlheiten (kein Handyempfang im Stadion!) des gesetzten Lebens gewichen; trotz langen Haaren haben wir alle dann doch einen Job gefunden.

Von selbigem war die Luxus-Gruppenreise in die Emotionsvergangenheit im Praterstadion eine willkommene Abwechslung. Und noch dazu hervorragend gestaltet: Die Band hat gut eine Band dargestellt, die Pink Floyd darstellt. Brüllend laut waren die akustischen Weltkriegs-Rundumszenen, begeisternd die detailgenaue Projektion auf die riesige Wand, die Waters im Laufe des Konzertes über die Bühne bauen ließ. Auf der Mauer gab es die legendären Gerald Scarfe-Animationen ebenso wie ganz viel politische Message: Opfer der Terrorkriege wurden gezeigt, Kindesleid und Mutterwahnsinn, Scheidungselend und Selbstmordgedanken. So ohne Gnade war allumfassende Kritik am Leben, dem Universum und dem ganzen Rest noch nie.

Dieser Popalbum gewordene Entwicklungsroman – „Roger Waters’ Lehr– und Depri-Jahre“ – ist natürlich aus der Zeit gefallen, ein Stück Popgeschichte, das längst keine Gegenwart mehr hat. Und gerade deshalb absolut sehenswert war.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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