"Risttuules – In the Crosswind": Die Macht des filmischen Blicks

Bewegendes Drama über ethnische Säuberungen aus Estland
Zeitgeschichte als dramatischer Kunstfilm.

Der Film des estischen Regisseurs Martti Helde erzählt von den ethnischen Säuberungen im Baltikum 1941 durch die Sowjets. Tausende Menschen in Estland, Litauen und Lettland wurden damals von den Sowjets aus ihren Häusern vertrieben. Ohne Prozess wurden die Männer in Gefängnisse geschickt, die Frauen und Kinder nach Sibirien verschleppt.

Im Mittelpunkt des auf Tatsachen basierenden Films steht die 27-jährige Erna, die damals ihre kleine Tochter und ihren Mann verlor. Die in grandiosen Bildern erzählte Geschichte ist mit Zitaten aus ihren Briefen und Tagebuchtexten unterlegt, wodurch man als Zuschauer magisch ins grausame Geschehen hineingezogen wird. Im Film blitzen aber auch immer wieder Momente von Zivilcourage und Mitgefühl auf, die hoffen lassen, dass auch in Zeiten von Vertreibung, Flucht und Zerstörung der letzte Funke von Menschlichkeit nicht erloschen ist.

Der in schwarz-weiß gedrehte Film zeigt mit künstlerischer Raffinesse, dass in Sibirien, wohin Erna deportiert wurde, die Zeit eine andere Dimension hat. Während der anstrengenden Zwangsarbeit versucht Erna ihre ganz persönliche Freiheit des Geistes zu finden. In einem Tagebuch und in Briefen an ihren Mann, der ebenso unschuldig wie sie im Gefängnis sitzt, hält sie die Erinnerungen an das vergangene Glück fest.

Um dieses Festhalten zu illustrieren, setzte der Regisseur den Film aus "Tableau-vivant-Sequenzen" zusammen: Minutenlange Kamera-Einstellungen, in denen Menschen und Handlungen festgefroren scheinen. Zwei bis sechs Monate brauchte er allein für die Vorbereitung und Inszenierung jedes einzelnen dieser lebenden Fresken.

Erstarren

Mehr als dreihundert Personen durften sich bei Massenszenen nicht bewegen und mussten in präziser Haltung erstarren: Die Zeit steht still in den Jahren der Gefangenschaft – auch daraus erschließt sich die Ästhetik des Films. Schwierige Kinokost, die auf jeden Fall bereichert.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: Estland 2014. 90 Min. Von Martti Helde. Mit Laura Peterson, Ingrid Isotamm.

KURIER-Wertung:

HIER GEHT ES ZUM KINOPROGRAMM>>

Kommentare