"Das Leben ist ein Theater"

Stardirigent Riccardo Muti sieht sich als Diener des Komponisten
Der neapolitanische Dirigent über Wien, Philharmoniker und Chicago.

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker – das ist eine künstlerische Liebesbeziehung, die seit Jahrzehnten währt. Ab heute, Samstag kann man sich davon wieder im Musikverein überzeugen, wenn der neapolitanische Stardirigent Werke von Mendelssohn-Bartholdy und Berlioz dirigiert. "Durch die Wiener Philharmoniker habe ich als junger Dirigent sehr viel über Klang und Balance gelernt", sagt der Maestro im KURIER-Interview.

Kann sich Muti noch an sein Debüt am Pult der Wiener erinnern? "Ja, das war 1971. Wien war damals eine ziemlich graue Stadt, und ich hatte gehörigen Respekt vor den Musikern, die selbst bei den Proben im Anzug dasaßen. Mittlerweile ist eine ganz andere Generation am Ruder, ich bin immer noch da", lacht der Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra und ehemalige Musikchef der Mailänder Scala.

Frage der Zeit

Mit dem Chicago Symphony kommt Muti im Oktober/November nach Wien – für eine Residenz im Musikverein. Muti: "Das ist ein großartiges Orchester, und ich freue mich, die Musiker hier präsentieren zu dürfen." Doch was hat Muti eigentlich nach Chicago gezogen? "Ich habe in meinem Leben schon viele Orchester geleitet und hatte viele Anfragen. Ich wurde ja auch mit dem New York Philharmonic in Verbindung gebracht. Doch alles im Leben hat seine Zeit. Es gibt Zeit für Frieden, Krieg, für Liebe, und es war damals nicht der richtige Zeitpunkt. Ich wollte nach meinen 19 Jahren an der Scala, die nicht immer einfach waren, auch einfach mehr leben. Ohne den Druck von Auditions oder Terminplanungen. Dann aber kam das Angebot aus Chicago, aus einer Stadt, die ich auch architektonisch sehr schätze. Und Chicago ist musikalisch ein Zentrum – noch dazu an einem See. Wenn ich dort spazieren gehe und die Augen schließe, glaube ich fast, am Meer zu sein. Mit Fantasie geht fast alles."

Frage der Ehrlichkeit

Beim Dirigieren aber ist Riccardo Muti ein harter Arbeiter. "Es gibt viele Kollegen, die sagen, wie glücklich sie sind, schon allein wenn sie auf dem Podium stehen. Ich aber bin glücklich, wenn es den Musikern und mir gelingt, dem Komponisten zu dienen und den Zuhörern etwas zu vermitteln. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit. Arturo Toscanini etwa, den ich sehr verehre, hat nach jedem Konzert analysiert, was gut und was weniger gut war. Seine Frau hat ihm Risotto gekocht, er ist währenddessen die Partituren durchgegangen. Aber das genaue Studium der Partitur ist heute leider aus der Mode gekommen, sonst würde man etwa Verdi nicht so viel Gewalt antun."

Frage des Anstands

Über Verdi hat Muti auch ein lesenswertes Buch ("Mein Verdi") geschrieben, in dem er auch mit dem Startum abrechnet. "Wenn ich höre, dass ein sehr gefragter Kollege 30 Konzerte in 24 Tagen macht, dann kann künstlerisch da etwas nicht stimmen. Nicht der Dirigent ist der Star, sondern immer der Komponist und dessen Musik. Das ist eine Frage des Anstands."

Wird Muti aber in Zukunft auch wieder Oper dirigieren? "Ich liebe die Oper, aber um zu einem guten Ergebnis zu kommen, braucht man viel Zeit und gute Sänger. Und natürlich einen Regisseur, der die Musik nicht vergewaltigt. Diese drei Dinge kommen nur selten zusammen. Aber wir werden sehen."

Zwei Opern liegen Muti besonders am Herzen. Verdis "Falstaff" und Mozarts "Così fan tutte". "Mozart hat mit göttlicher Musik über die Liebe und ihre Vergänglichkeit geschrieben, also über Probleme, die jeden von uns betreffen. Und Verdi hat eine der schönsten Liebeserklärungen an das Leben verfasst. Mit dem Wissen, dass das Leben ein Theater ist, dass wir als Menschen für kurze Zeit auf einer Bühne stehen und spielen. Gut, wenn man bereit ist, das zu akzeptieren."

Termine und Buch

Hören und Lesen 10., 11., 12. Mai im Musikverein. Wiener Philharmoniker. Solisten: Julia Kleiter, Saimir Pirgu, Ildar Abdrazakov (Mendelssohn, Berlioz). 15., 16., 17. August mit den Wienern bei den Salzburger Festspielen. 28., 29. Oktober sowie 1. und 2. November mit dem Chicago Symphony im Musikverein. 24. April 2015 mit den Wienern im Musikverein. Riccardo Muti: „Mein Verdi“ (Henschel Verlag, 19,95 Euro)

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