Reichenau-Auftakt: Als wär’s ein Film von David Lynch

Reichenau
Henrik Ibsens "Baumeister Solness" mit Joseph Lorenz und Alma Hasun bei den Festspielen Reichenau.

Pures Schauspielertheater – dafür stehen die Festspiele Reichenau seit nunmehr 30 Jahren. Und das durchaus mit Erfolg. Denn man muss die großen Klassiker der Weltliteratur nicht zwingend (wünschenswert ist das jedoch mitunter schon) durch den szenischen Reißwolf drehen, um beim Publikum wahrhaftige Emotionen zu wecken.

Grandioses Duell

Das aber geht – auch im Fall von Henrik Ibsens "Baumeister Solness" nur dann gut, wenn Protagonisten der Extraklasse zur Verfügung stehen. Genau über diese verfügen die Festspiele Reichenau. Denn was Joseph Lorenz (er gab mit dem "Baumeister Solness" auch sein starkes Regiedebüt) und Alma Hasun aus diesem eher spröden Drama machen, verdient die Bezeichnung Weltklasse.

Da ist auf der einen Seite der Machtmensch Solness, eitel, kalkulierend, stets manipulierend, aber alternd, der vor vielen Jahren seine Karriere auf einem Brand, dem Tod seiner zwei Kinder und einer vielleicht zu nahen Beziehung zu der damals zwölfjährigen Hilde begründet hat. Ein "Königreich" hat er dem Mädchen nach vielen, zärtlichen Küssen (und mehr?) versprochen. Nun fordert Hilde dieses ein – in Form einer letzten, letalen Aufgabe . . .

Joseph Lorenz als Solness und Alma Hasun als Hilde spielen diese Geschichte, als wäre es ein Film von David Lynch. Die Abgründe, das Unausgesprochene, der an allen Orten lauernde Wahnsinn – dies und mehr wird in Peter Loidolts geschmackvollem Gerüst-Bühnenbild deutlich. Sogar eine Prise "Faust", eine Spur "Jedermann", ein Hadern mit Gott, der Welt, dem Leben, dem Tod sowie der eigenen (Un-)Schuld sind die Ingredienzien: Lorenz und Hasun nehmen Ibsen nämlich beim Wort, schaffen einen zweistündigen (die Pause ist unnötig!), existenziellen Infight.

Der Baumeister – er fügt sich in seinen "Gerichtstag". Hilde – sie mutiert zu einem wahnsinnigen, unberechenbaren, dabei zärtlichen Rache-Engel aus Liebe. Vor allem aber: Lorenz und Hasun halten dabei die darstellerischen Bälle furios und zweideutig in der Luft, spielen echtes Geheimnis. Chapeau!

Doch auch die übrige Besetzung fällt nicht ab: So hat Julia von Sell als des Baumeisters Frau ganz feine Momente von erschütternder Intensität. So dürfen Elisa Seydel, Michael Pöllmann, Hans Dieter Knebel und Peter Moucka aus ihren "Randfiguren" viel machen. Im Zentrum aber steht dennoch ein Paar, dem man stundenlang zusehen und zuhören könnte.

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