Interview zu 'Toni Erdmann': "Das muss jetzt lustig sein"

Szene aus "Toni Erdmann".
Regisseurin Maren Ade über ihren Film "Toni Erdmann", der in Cannes einhellig begeisterte.

"Ich bin ja eher so der misstrauische Typ", sagt Maren Ade, deutsche Regisseurin, über sich selbst. Dass ihr gewitzter Vater-Tochter-Film "Toni Erdmann" in Cannes beispielsweise auf einhellige Begeisterung stoßen würde, damit hatte sie nicht gerechnet.

Als dann aber doch kein großer Preis für sie heraussprang, – übrigens eine fatale Jury-Fehlentscheidung – "da war ich innerlich auch ein bisschen darauf vorbereitet".

Wenigstens hat es jetzt mit dem Warten ein Ende. Wer einen umwerfenden Peter Simonischek als Vater Winfried sehen will, der mit falschem Gebiss und schiefer Perücke in das Leben seiner Tochter Unordnung bringt, hat ab Freitag die Gelegenheit dazu.

An Simonischeks Seite brilliert Sandra Hüller als verkniffene Unternehmensberaterin in Bukarest, die verbissen die Karriereleiter hinaufklettern will. Als plötzlich ihr pensionierter Vater in schlechter Verkleidung bei ihren Geschäftstreffen auftaucht und sich als Personalcoach Toni Erdmann ausgibt, gerät sie in zunehmend peinliche Situationen.

Ein Gespräch mit der einzigartigen Maren Ade, 39, über falsche Zähne, Heulszenen und die Kunst des Abstandhaltens.

KURIER: Frau Ade, Ihr Humor ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich. Was brachte Sie auf die Idee, Peter Simonischek mit falschen Zähnen und schlechter Perücke zu verkleiden?

Interview zu 'Toni Erdmann': "Das muss jetzt lustig sein"
Interview
Maren Ade:Mein Vater hatte ein sehr gutes Repertoire an Humor. Irgendwann einmal, vor zwanzig Jahren, habe ich ihm ein Scherzgebiss geschenkt, mit dem er dann manchmal öffentlich hantiert hat – wenn er beispielsweise etwas in einem Restaurant bestellte oder sich wo im Scherz beschwert hat. Die Situation mit den Zähnen kenne ich also, und der Rest ist quasi dazuerfunden.

Peter Simonischek schien jedenfalls begeistert. Auch noch nach der Filmpremiere ist er immer wieder mit diesen falschen Zähnen aufgetreten.

Ja, er hatte große Lust, dieses Projekt zu machen und das Drehbuch hat ihm auch sehr gut gefallen. Es war eigentlich sofort klar, dass er bereit war, viel von sich zu geben. Und natürlich ist es ein schmaler Grat, auf dem er sich da bewegt. Er spielt ja nicht Toni, sondern Winfried, der Toni spielt. Das war die größte Schwierigkeit: Dass er als guter Schauspieler einen schlechten Schauspieler spielen muss. Das ist gar nicht so einfach, und Komödie ist wirklich harte Arbeit – ganz besonders jene Stellen, wo im Drehbuch steht: Das muss jetzt lustig sein.

Was war die größte Herausforderung bei den lustigen Szenen?

Ich finde schon, dass es die war, in der Winfried erstmals als Toni auftritt. Daran haben wir lange gedreht. Wenn das nicht glaubhaft und lustig rüberkommt – da hing der ganze Film dran.

Wie kamen Sie ausgerechnet auf den titelgebenden Namen "Toni Erdmann"?

Ich habe mich ein bisschen für Andy Kaufman, einen amerikanischen Komiker aus den 1970er- Jahren interessiert. Es gibt auch einen Film über ihn, "Man on the Moon". Kaufman hatte eine Figur erfunden, einen Barsänger und ganz übertriebenen bad guy-Charakter namens Tony Clifton – den fand ich als Vorbild ziemlich interessant. Und Erdmann – ich weiß auch nicht, was mein Hirn da macht. Es kommt einfach von irgendwo her. Vor Kurzem bin ich in der Nähe meiner Eltern bei einem Autohaus vorbeigefahren, vor dem ein Schild mit der Aufschrift "Erdmann" stand. Und da dachte ich, aha, daher hab’ ich das. Etwas setzt sich irgendwo fest und wird dann einfach herausgespuckt.

In Ihrem letzten Film "Alle anderen" (mit Birgit Minichmayr) interessierten Sie sich für die Paarbeziehung. Was hat Sie an dem Vater-Tochter-Verhältnis gereizt?

Bisher bin ich immer in Zwei-Personen-Konstellationen gelandet, aber diesmal hat mich auch Familie als Thema interessiert. Familie kann ja etwas sehr Stagnierendes sein: Jeder hat so seine Rolle über die Jahre eingenommen und die Dinge wiederholen sich. Auch die Witze des Vaters wiederholen sich, und es ist einfach alles nicht mehr so lustig. Ich fand es interessant, eine These zu erzählen: Was wäre, wenn man sich noch einmal anders begegnen könnte, wenn man noch einmal ausbrechen, sich neu definieren könnte – wenn man sich also jenseits der angestammten Rollen begegnen würde: Was wäre anders? Und der Vater macht ja diese Verwandlung in Toni aus einer Verzweiflung heraus, weil er einfach merkt, dass er seiner Tochter anders einfach nicht nahekommt. Genau dieser Gedanke: Was wäre, wenn man sich noch einmal als Fremde begegnen würde – was könnte man da miteinander erleben? Das war mein Grundgedanke, und daraus ist dann das Drehbuch entstanden.

Es fällt auf, dass Sie gefühlvolle Szenen meist aus der Distanz filmen. Haben Sie Angst vor Sentimentalität?

Ich mag es selbst nicht, wenn mir zu viel nahegelegt wird – das berührt mich dann einfach nicht. Und ich suche nach dem, was mich berührt. Wenn ich jemanden von hinten weinen sehe, berührt mich das mehr, als wenn ich ihm dabei voll ins Gesicht schauen muss. Weil dann denke ich mir, sieht der komisch aus, wenn er weint. Ich habe oft festgestellt, dass solche Szenen ganz besonders schwer zu drehen sind, weil Heulszenen das Gesicht so entstellen. Aber wenn ich Ines, die Tochter, von hinten auf der Dachterrasse stehen sehe, alleine, und sie zu schluchzen beginnt, dann berührt mich das mehr. Da finde ich oft Abstand irgendwie gut. Und ich versuche, mich darauf zu verlassen, dass der Film vorher genügend Nähe zu den Figuren hergestellt hat, um dann nicht zu nahe herankriechen zu müssen.

Bei der Premiere in Cannes gab es im Publikum wahre Lachstürme. Haben Sie damit gerechnet?

Ja, eigentlich wollte ich schon eine Komödie drehen, aber beim Machen habe ich dann gemerkt, dass das Drama die zentrale, interessantere, wichtigere Handlung ist. Die Komödie ist einfach mit dem Publikum zurück gekommen. Der Film kann aber, wenn man ihn sich ganz alleine ansieht, auch ganz anders wirken. Man lacht manchmal ja auch, wenn man etwas nicht mehr aushält – und dem zugrunde liegt ein Drama. Ich habe versucht,dass beides da ist.

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