François Ozon: "Die Geschichte neigt dazu, sich zu wiederholen"

Pierre Niney und Paula Beer in dem berührenden Drama „Frantz“
Der französische Regie-Star François Ozon drehte erstmals in Schwarz-Weiß – und auf Deutsch: "Frantz".

Der französische Regie-Allrounder François Ozon ("8 Frauen", "Swimmingpool") ist immer wieder für Überraschungen gut. Mit seinem neuen Film zauberte er ein zartfühlendes Nachkriegsdrama aus dem Hut – gedreht in Schwarz-Weiß und auf Deutsch.

"Frantz" (derzeit im Kino) erzählt vom Ende des Ersten Weltkrieges: Ein altes deutsches Ehepaar betrauert den Tod seines gefallenen Sohnes Frantz, dessen Verlobte Anna bei ihnen lebt. Plötzlich taucht ein junger Franzose auf, legt Blumen auf das Grab von Frantz und behauptet, ihn von früher zu kennen. Anna – gespielt von der brillanten Paula Beer ("Das finstere Tal") – freundet sich mit ihm an.

KURIER: "Frantz" ist Ihr erster Film, der weitgehend auf Deutsch gedreht wurde. War das eine Schwierigkeit für Sie?

François Ozon: "Die Geschichte neigt dazu, sich zu wiederholen"
French director Francois Ozon attends the photocall of the movie "Frantz" presented in competition at the 73rd Venice Film Festival on September 3, 2016 at Venice Lido.
François Ozon (in stolzem Deutsch): Isch kann ein bisschen Deutsch spreschen. Ein bisschen. (Dann weiter auf Französisch): Tatsache ist, dass ich Deutsch besser verstehe als Englisch und dass mir die deutsche Sprache auch näher liegt als die Englische. Es gibt dieses Klischee und Vorurteil von Deutsch als einer harschen und harten Sprache. Und gerade in Frankreich herrschte lange die Meinung vor, die Deutschen wären immer das Böse. Aber ich liebe die Sprache und mein Film ist auch ein Versuch, ihre Schönheit und ihre Musikalität zu zeigen.

Es gibt bereits einen Film von Ernst Lubitsch, "Broken Lullaby" von 1932, der ebenfalls auf diesem Stoff beruht. Hat Sie der Film inspiriert?

Zuerst bin ich auf das französische Theaterstück von Maurice Rostand gestoßen. Ich liebe diese Geschichte von dem Franzosen, der immer Blumen auf das Grab eines deutschen Soldaten legt. Erst dann habe ich entdeckt, dass es bereits einen Lubitsch-Film gibt und ich wollte mein Projekt fast schon wieder abblasen. Doch als ich seinen Film gesehen habe, habe ich es mir anders überlegt: "Broken Lullaby" ist sehr idealistisch, sehr pazifistisch, um nicht zu sagen naiv. Außerdem wurde er in den 30er-Jahren gedreht, wo Lubitsch nicht wissen konnte, dass es einen Zweiten Weltkrieg geben würde. Und schließlich war der Film von einem deutschen Filmemacher, der aus französischer Sicht erzählt – und ich wollte genau das Gegenteil tun: Als französischer Filmemacher aus der Sicht der Deutschen, der Kriegsverlierer, aus der Sicht eines jungen Mädchens erzählen. Das hat mich interessiert.

Ihr Film ist zumeist in Schwarz-Weiß gedreht, manchmal aber auch in Farbe. Welches Konzept hat Sie geleitet?

Keines. Es war eine gefühlsmäßige Entscheidung. Meine Produzenten wollten wissen, ob die Vergangenheit und die Gegenwart in Schwarz-Weiß und die Zukunft in Farbe gezeigt werden sollen. Aber so eindeutig ist es nicht. Ich wollte die Farben impressionistisch einsetzen: so als ob nach der Tragödie in manchen Momenten Lebensfreude durch die Adern meiner Figuren fließt, das Leben zurückkehrt.

Gerade am Anfang wird man stark an Michael Hanekes "Das weiße Band" erinnert, der ebenfalls in Schwarz-Weiß gedreht wurde. War das ein Einfluss?

Es hat mir bei der Finanzierung sehr geholfen. Weil "Das weiße Band" so erfolgreich war, konnte ich meine Produzenten leichter überreden, ebenfalls einen Film in Schwarz-Weiß zu produzieren. Insgesamt habe ich meinen Mitarbeitern von der Ausstattung, dem Set-Design, der Kamera drei Filmreferenzen gegeben, die meiner Ansicht nach perfekt ihren jeweiligen historischen Zeitraum rekonstruieren: "Tess" von Roman Polanski, "Barry Lyndon" von Stanley Kubrick und "Das weiße Band".

Sie legen immer wieder (falsche) Fährten in Ihrem Film und lassen die Geschichte unerwartete Haken schlagen.

Ja, das mache ich, weil ich mich bei meinen Filmen gerne in die Lage der Zuseher versetze und mir ausmale, was sie für eine Erwartungshaltung haben könnten. Und mit der spiele ich, wenn ich falsche Fährten lege. Ich glaube auch, dass die Zuseher manchmal mehr Fantasie haben als die Regisseure. Und außerdem finde ich, dass hinter jeder Lüge eine Wahrheit und ein Begehren steckt.

Apropos Lüge: Das Konzept der Lüge ist sehr wichtig in "Frantz". Was interessiert Sie daran?

Ich wollte davon erzählen, wie Lügen und Geheimnisse in dramatischen Zeiten wie des Krieges und der Krise den Menschen beim Überleben helfen können. Die Lüge ist eine Metapher für unser Bedürfnis und unsere Sehnsucht nach Fiktion – und daher auch nach Filmen.

In "Frantz" geht es auch stark darum, den ehemaligen Kriegsgegner zu dehumanisieren. Sehen Sie einen Bezug zur heutigen politischen Situation?

Ehrlich gesagt, war mir während der Dreharbeiten gar nicht bewusst, wie aktuell der Film eigentlich ist. Doch gerade dieser steigende Nationalismus in Europa, die Angst vor Zuwanderern, die Errichtung von Grenzen, der Brexit ... das alles ist Teil eines größeren Bildes. Ich merkte plötzlich, dass mein Film, obwohl er im Jahr 1919 spielt, indirekt auch sehr viel über die Gegenwart erzählt. Ich finde allerdings auch, dass es sehr wichtig ist, die Vergangenheit im Auge zu behalten. Die Geschichte neigt dazu, sich zu wiederholen, daher ist es entscheidend, von den tragischen Ereignissen der Vergangenheit zu lernen.

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