Regielegende Robert Wilson: "Es gibt nichts zu verstehen"

Wieder in Berlin zu sehen: "Einstein On The Beach" von Robert Wilson, Philip Glass und Lucinda Childs hat bei seiner Uraufführung 1976 alles hinterfragt, was Oper sonst ausmacht
Der Avantgarde-Regisseur über die Oper "Einstein On The Beach", Geld und Lady Gaga

Eine sich ständig wiederholende Fünf-Stunden-Oper für Synthesizer, Bläser und Stimmen, die keine Handlung erzählt, und bei der das Publikum kommen und gehen kann, wann es will: "Einstein On The Beach", eine bahnbrechende Gemeinschaftsarbeit des legendären Avantgarde-Regisseurs Robert Wilson, des Komponisten Philip Glass und der Choreografin Lucinda Childs, hat vor knapp 40 Jahren so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, was Oper sonst so ausmacht.

Kein andächtiges Zuhören, keine emotionale Frontalattacke, keine wettkampfartige Stimmakrobatik.

Das "überaus Kuriose" daran, sagt Wilson im KURIER-Gespräch, ist, dass das alles auch heute noch ebenso radikal und revolutionär ist wie damals: "Wir haben in der bildenden Kunst gelernt, dass abstrakte Werke keine Geschichte erzählen müssen. Im traditionellen japanischen Nō-Theater waren schon im 14. Jahrhundert zwei Drittel der Bewegungen abstrakt; diese mit Handlung aufzuladen, wäre als Herabsetzung empfunden worden. Aber im Theater und in der Oper ist man bis heute von der Handlung abhängig."

Theater und Opern seien heute sogar weniger experimentierfreudig als in den 1970er-Jahren, als "Einstein On The Beach" uraufgeführt wurde: "Vielleicht liegt das daran, dass ich alt werde", sagt Wilson mit einem Lachen. "Aber vieles erscheint mir heute so konventionell."

Konventionell waren Wilsons Arbeiten nie. So war die Fünf-Stunden-Oper "Einstein On The Beach", die ab 3. März wieder in Berlin zu sehen ist, für Wilson ein kurzes Werk: Seine ersten großen Produktionen Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre waren mal zwölf Stunden ("Life And Times Of Joseph Stalin") oder auch mal sieben Tage ("KA MOUNTAIN AND GUARDenia TERRACE" im heutigen Iran) lang.

Verlust

"Heute läuft alles viel schneller", sagt Wilson, ein Grund dafür sei die Angst der Künstler, "das Publikum zu verlieren. Ich habe am Broadway mitgestoppt. Die erfolgreichen Produktionen dort versuchen, alle 20 Sekunden eine Reaktion des Publikums hervorzurufen. Ständig wird gefragt: Versteht ihr das? Ist das nicht traurig? Ist das nicht lustig?"

Bei "Einstein On The Beach" aber "gibt es nichts zu verstehen. Man darf sich darin verlieren! Wie in einem guten Buch. Ist das nicht wunderbar? Ein Sonnenaufgang muss mir auch keine Geschichte erzählen."

Dass Künstler heute weniger experimentierfreudig sind, sei aber auch eine Frage des verschärften wirtschaftlichen Umfelds, sagt Wilson. "Als New York immer teurer geworden ist, hat dort vieles an Experimentierfreude aufgehört", sagt Wilson. Diese Entwicklung hat längst auch Opernhäuser und Theater erreicht, die – unter Druck geraten – kommerzieller produzieren müssen. "Als ich nach Europa kam, beklagten sich die Künstler darüber, keine Subventionen mehr zu bekommen. Daran hätten wir in den USA nicht einmal gedacht! Ich habe unterrichtet und in einem italienischen Restaurant gearbeitet, um meine Kunst zu finanzieren. Ich sagte immer: Man muss von keinem Scheck der Regierung abhängig sein. Macht einfach eure Kunst!"

Das ist in einigen Kunst-Sparten natürlich leichter: "Lady Gaga hat 2013 nur vier Monate gearbeitet – und 80 Millionen Dollar verdient! Können Sie sich das vorstellen?", sagt Wilson, der auch u. a. mit Lou Reed, Tom Waits, Rufus Wainwright und Marina Abramović zusammengearbeitet hat, mit einem Lachen.

KURIER: Gibt es Wiener Pläne – etwa die "Einstein On The Beach"-Produktion zu zeigen?

Robert Wilson: Nein. Auch das ist kurios. Ich habe überall in Europa gearbeitet, aber so gut wie nie in Wien. Man hat mich schlicht und einfach nicht gefragt.

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