Radetzkymarsch - von Joseph Roth

Radetzkymarsch - von Joseph Roth
Folge 1 der Serie, in der Nationalbibliothek-Chefin Johanna Rachinger Woche für Woche eines ihrer persönlichen Lieblingsbücher vorstellt.

Joseph Roth war 37 Jahre alt, als sein "Radetzkymarsch" erschien. 1932 lebte der jüdische Journalist und Schriftsteller bereits seit mehr als zehn Jahren in Berlin, hatte ausgedehnte Aufenthalte in Paris, Jugoslawien, Albanien oder Polen hinter sich. Kindheit und Jugend in Österreich lagen weit zurück - seinen großen Roman über das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie schreibt Joseph Roth aus räumlicher und zeitlicher Ferne. Der "Radetzkymarsch" verflechtet die drei Generationen umspannende Familiengeschichte der Trottas mit der so märchenhaften wie maroden k.u.k.-Zeit vor dem ersten Weltkrieg: Das großartige Kaleidoskop verführt die Leserinnen und Leser in eine Zeit der soldatischen Ehre, der Droschken, Bälle und Duelle. Der erzählerische Reigen beginnt mit dem Infanteristen Joseph Trotta, der 1859 mit Adelsstand und Maria-Theresien-Orden belohnt wird, nachdem er bei der Schlacht von Solferino dem jungen Kaiser Franz Joseph I. das Leben rettet. Trottas Sohn Franz rückt zum Bezirkshauptmann einer kleinen Stadt auf und wählt für seinen Nachkommen, Carl Joseph, abermals die Militärlaufbahn. Diese beiden - der Beamte Franz und sein Leutnantssohn Carl Joseph - tragen den Großteil der 400-seitigen Handlung. Sie folgen den Pflichten der damaligen Zeit so gut sie können, der Vater mit mehr, der Sohn mit weniger Erfolg: Er ist nur widerwillig Soldat, wird die Karriereleiter trotz mangelhafter Reit- und Fechtkünste hinaufgereicht, bändelt mit den falschen Frauen an und reißt die Ehre der Familie in den Abgrund von Spielschulden.

Radetzkymarsch - von Joseph Roth

Der Roman liest sich heute manchmal etwas betulich, entschädigt aber immer wieder mit großartigen Szenen: Der Tod des Trotta-Dieners Jacques etwa, der noch in letzter Lebensminute die Stiefel seiner Herrschaft blank putzt, oder die psychologisch fulminante Schilderung des alten, nachts durch Schönbrunn streifenden Franz Joseph, dem Kaiser mit Genie und Bosheit eines Greises. Oder aber der fast schon surreale Totentanz am Rande Österreichs: Das dort abgestellte Jäger-Bataillon feiert ein Sommerfest, unterbrochen vom Gerücht der Ermordung des Thronfolgers in Sarajewo. Die beiden Militärkapellen intonieren daraufhin Chopins Trauermarsch: "Die Gäste marschierten im Kreis rings um das leere spiegelnde Rund des Parketts. Sie kreisten so umeinander, jeder ein Leidtragender hinter der Leiche des Vordermanns, und in der Mitte die unsichtbaren Leichen des Thronfolgers und der Monarchie. Alle waren betrunken. Und wer noch nicht genügend getrunken hatte, dem drehte sich der Kopf vom unermüdlichen Kreisen. Allmählich beschleunigten die Kapellen den Takt, und die Beine der Wandelnden fingen an zu marschieren. Die Trommler trommelten ohne Unterlass, und die schweren Klöppel der großen Pauke begannen zu wirbeln wie junge muntere Schlegel. Der betrunkene Pauker schlug plötzlich an den silbernen Triangel, und im selben Augenblick machte Graf Benkyö einen Freudensprung. ,Das Schwein ist hin! ` schrie der Graf auf ungarisch."

Joseph Roths "Radetzkymarsch" spart nicht mit ironischen Seitenhieben auf die überalterte Monarchie, mit Häme auf das in Agonie liegende System. Aber was hinter all der Kritik so tief anspricht, ist die Sehnsucht des Autors nach dieser märchenhaften, alten Zeit - nicht nur Sehnsucht, sondern Liebe.
Und noch etwas macht diesen Roman so berauschend. Der titelgebende Radetzkymarsch von Johann Strauß wird nicht nur als Leitmotiv verwendet, sondern klingt auf jeder Seite, in jeder Zeile mit: vertraut, unaufhaltsam und berührend.

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