Pioniere des Comic

Cliff Sterrett, Polly and Her Pals, 1927, Privatsammlung.
Alexander Braun, Kurator der Ausstellung "Pioniere des Comic" in Frankfurt, über die Wegbereiter der Kunstform.

Er malte Kirchen und Häuser des Weimarer Umlandes: Lyonel Feininger (1871–1956) gehört zu den wichtigsten Vertretern der klassischen Moderne. Sein Vorleben als erfolgreicher Comic-Zeichner ist dagegen wenig bekannt. Der Sohn einer deutschstämmigen Familie, der in New York und Berlin aufwuchs, hat Anfang des 20. Jahrhunderts für die Zeitung Chicago Tribune gearbeitet. Lyonel Feininger ist einer von sechs Pionieren, denen eine Ausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Schirn und ein weiterführender Bildband gewidmet ist. Kuratiert wurde die Schau von Alexander Braun, der im KURIER-Interview über die Pioniere der Comic-Geschichte erzählt.

KURIER: Gibt es so etwas wie einen Urvater des Comic?

Alexander Braun: Wie immer bei "Erfindungen", die nicht ad hoc auftreten, sondern sich sukzessive aus bestehenden Gattungen entwickeln, gibt es nicht DEN einen ersten Comic oder Urvater. In der Comic-Historie haben wir uns auf eine Zeit um 1897 verständigt. Als erster "moderner" Comic der Geschichte gilt die Figur "Yellow Kid" von Richard Outcault.

Was macht eine Zeichnung zu einem Comic?

Beim Comic kommen im Wesentlichen drei Aspekte zusammen. Erstens: Die Serialität, der Comic erzählt mit Bildern in Folge. Zweitens: Die Sprechblase, die Figuren sprechen im Bild quasi "live" miteinander. Und drittens – insbesondere beim frühen Comic: Die Verbreitung über das Massenmedium der Zeitung. Comics erreichten durch die modernen Druckmedien ein Millionenpublikum.

Welchen Zweck erfüllten um 1900 Comics?

Comics waren um 1900 in den USA die Entertainment-Form schlechthin: Premium-Liga! Groß, in Farbe, permanent verfügbar für Millionen. Das schaffte zu dieser Zeit kein anderes Medium.

Pioniere des Comic
Credit: VG, Bild-Kunst, Bonn 2016. Honorarfrei bei Namensnennung. Lyonel Feininger, The Kin-der-Kids, Sonntagsseite Chicago Tribune, 29. April 1906, Sammlung Achim Moeller, New York, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Worin unterscheiden sich die "Pioniere des Comic"?

Winsor McCay machte Surrealismus 20 Jahre vor den französischen Surrealisten. Lyonel Feininger buchstabierte seinen Mikrokosmos aus altdeutschen Städten, Kirchtürmen und Seestücken, lange bevor er das als bedeutender Maler der Moderne und Professor am Bauhaus tat. George Herriman führte ein absurd-dadaistisches Theater auf, als Samuel Beckett noch zur Schule ging. Cliff Sterrett lebte in einer Künstlerkolonie in Maine, wo er mit den Avantgarde-Tendenzen seiner Zeit konfrontiert war, die sich ab 1925 in seinen Comics niederschlugen. Einflüsse des expressionistischen Stummfilms oder des japanischen Holzschnitts lassen sich deutlich ablesen. Charles Forbell dagegen widmete sich dem Medium nur kurz, schuf aber extrem fortschrittliche Sonntagsseiten, die als Gesamtkompositionen betrachtet werden müssen. Und Frank King schließlich erzählte über mehr als 30 Jahre in Realzeit: jeden Tag eine Folge mit Figuren, die mit ihren Lesern und der amerikanischen Zeitgeschichte alterten.

Warum spielten Frauen in der Comic-Geschichte keine Rolle?

"Keine" Rolle ist zu pessimistisch formuliert. Es gab durchaus Comic-zeichnende Frauen, aber in der Tat nur sehr wenige. Genauso gut kann man aber zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts auch die Abwesenheit von farbigen Zeichnern beklagen oder die nur wenigen Juden in diesem Business.

Wie schwer war es für Comics, sich neben der "Hochkultur" zu etablieren?

So schwer, dass es bis heute keine Selbstverständlichkeit ist, dass Comic-Kunst in einem Kunstmuseum gezeigt wird. Bestenfalls ist ein Dasein in musealen Nische vorgesehen – als quasi Kunstgewerbe oder Pop-Phänomen. Dabei wird übersehen, dass auch der Comic in den meisten Fällen die Vision eines Künstlers darstellt, der sowohl literarischer Autor als auch Zeichner ist. Unter künstlerischen Gesichtspunkten ist der Comic-Schöpfer visuell um ein vielfaches freier als etwa ein Filmkünstler, der einen Produzenten, Schauspieler, Kamera- und Tonleute usw. benötigt. Für einen Comic braucht es als Produktionsmittel zunächst nur Stift und Papier.

Pioniere des Comic
Winsor McCay, Little Nemo in Slumberland, Sonntagsseite The New York Herald, 23. September 1906, Privatsammlung. Credit: Schirn Kunsthalle Frankfurt. Honorarfrei bei Namensnennung.

Warum ist die Geschichte des Comic vornehmlich eine amerikanische Kulturgeschichte?

Europa hatte eine lange, erfolgreiche Tradition in der Karikatur und in Bilderbögen. Und Europa verhielt sich traditionell extrem chauvinistisch gegenüber der Neuen Welt, in der über Jahrhunderte lediglich europäische Moden nachgeeifert wurden. Dass es eine relevante neue Kunstform geben könnte, die in den USA ihren Ursprung nahm, war für Europäer unvorstellbar. Also wurde der Comic als vulgäres Produkt eines vulgären Kontinents gesehen. Entsprechend startete Europa erst mit 30 Jahren Verspätung.

Pioniere des Comic
Credit: Schirn Kunsthalle Frankfurt. Honorarfrei bei Namensnennung.
Info: "Pioniere des Comic" – noch bis 18. 9. in der Kunsthalle Schirn Frankfurt. Katalog zur Ausstellung: Hatje Cantz Verlag, 36 Euro.

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