Ein Insektenstich reicht für den Weg zurück

Wird kommenden Donnerstag 70 Jahre alt: Patrick Modiano
Der 28. Roman des bald 70-jährigen Nobelpreisträgers: "Damit du dich im Viertel nicht verirrst"

Die Ruhe, die Patrick Modianos nun schon 28 Romane ausstrahlen, fällt neben dem hektischen Peter Høeg und seiner Superfrau Susan noch stärker auf.

Läutet im Buch ein Telefon, kommt das einer Störung gleich, die überlegen lässt, ob man das Telefon nicht überhaupt abmelden sollte.

So geht es auch dem Schriftsteller Jean Daragane, der sehr zurückgezogen allein in Paris lebt.

Der Anruf wird ihn 50 Jahre zurückwerfen.

Keine Wahrheit

Von Patrick Modiano, dem aktuellen Nobelpreisträger für Literatur, weiß man: Erinnern ist (für ihn) Pflicht.

In "Damit du dich im Viertel nicht verirrst" wird man lesen: Erinnern heißt nicht unbedingt, dass man dann klarer sieht, dass man dann das Leben besser versteht.

Ein Insektenstich reicht für den Weg zurück
buch

Eigentlich ist es nahezu unmöglich, seine Autobiografie zu schreiben, die halbwegs der sogenannten Wahrheit entspricht.

Im Buch ist deshalb ein Zitat von Stendhal vorangestellt: "Ich kann die Wirklichkeit des Geschehenen nicht darstellen, ich kann nur seinen Schatten zeigen."

Wie ein Stich

Die Reise geht diesmal nicht zurück zur Vichy-Regierung im den Zweiten Weltkrieg – wie in "Ein Stammbaum", wie in "Dora Bruder".

Sie geht auch nicht (wie zuletzt in "Gräser der Nacht") in die Endsechziger, als der marokkanische Exilpolitiker Ben Barkas in einer ungeklärten Affäre ermordet wurde.

Sie ist diesmal privater, Modiano landet 1951/’52, da war er sechs, sieben, und da ist sein Held sechs, sieben, weil der abgekapselte, rund 65-jährige Schriftsteller Jean Daragane durch den Anrufer in die Kindheit zurückgeworfen wird:

Wer war Guy Torstel?

Einem Insektenstich komme solch Nachdenken anfangs gleich, dann werde der Schmerz größer, und man habe das Gefühl wie bei einer Risswunde.

Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen ineinander – sie seien ja bloß durch eine Cellophanwand getrennt. Ein Stich, und sie platzt.

Lieber Buffon

Guy Torstel: Er spielt keine Rolle, ein Buchhändler war er. Aber von ihm führt der Weg in der Vergangenheit zur nahezu unbekannten Mutter und zu einem Kriminalfall.

Über Guy Torstel führt der Weg zum vernachlässigten Buben, der allein mit einem Zettel durch Paris irrte, auf dem immerhin die Wohnadresse stand: Damit er sich im Viertel nicht verirrt ...

Romanfigur Daragane stellte sich ungern seiner Geschichte. Er hätte lieber weiter in der Naturgeschichte des Forschers Comte de Buffon aus dem 18. Jahrhundert gelesen, 44 Bände. Tut weniger weh.

KURIER-Wertung:

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