"Parsifal"-Sänger Ventris: "Die Wunde ist im Kopf"

Christopher Ventris im neuen "Parsifal"
Christopher Ventris singt heute in der Neuproduktion des "Parsifal" an der Staatsoper die Titelrolle.

Er hat den "Parsifal" schon in vielen Inszenierungen gesungen. Doch die Neuinterpretation an der Wiener Staatsoper durch Regisseur Alvis Hermanis, die heute zur Premiere kommt, hat bei Tenor Christopher Ventris für neues Interesse an der Rolle gesorgt.

Der lettische Regisseur versetzt die Handlung in das Otto-Wagner-Spital auf der in Wien sprichwörtlichen Baumgartner Höhe, zu den psychisch Kranken der Habsburg-Monarchie.

"Das gibt ihm die Chance, seine wunderbaren Designs zu zeigen", sagt Ventris im KURIER-Gespräch. Auf der Bühne: Jugendstil und, prominent, der Schriftzug "Wagner Spital". "Und es gibt mir mehr Möglichkeiten als das übliche ,Junger Mann, wild, aus dem Wald’ beim Parsifal", so der britische Sänger weiter. "Ich komme auf die Bühne als, vielleicht, Patient einer anderen Abteilung, der in die falsche Situation hineinstolpert, nicht genau weiß, wo er ist. Vielleicht gebe ich alles auch nur vor, und spiele die Handlung im Kopf durch? Das ist frisch und gut für mich, und macht die Rolle interessant."

KURIER: Ist es dabei aber schwierig, die bisherigen Inszenierungen zu "vergessen"?

Christopher Ventris: Es ist schwierig, davon loszukommen, einen jungen Mann darzustellen. Viele Inszenierungen sind im ersten Akt körperlicher, und im dritten dann sehr ruhig. Wir sind über die gesamte Zeit hinweg ziemlich ruhig. Das hilft in der Konzentration, auch beim Singen. Der "Gral" steht für die Erforschung der Psyche, des Gewissens und des Herzens. Die Wunde ist im Kopf. Gurnemanz ist so etwas wie der Chefpsychiater, und alles, was er sagt, wird von seinen Studenten aufgesogen. Klingsor experimentiert an einem Frauenkörper. Es ist mehr los als bei anderen Inszenierungen. Junge Menschen wollen vielleicht nicht nur Sängern beim Singen zuschauen. Aber wir spielen in diesem Setting immer noch die "Parsifal"-Geschichte. Es ist nicht verstörend; es spielt halt nicht im Wald.

Welche Rolle spielt die Religion in der Produktion?

Wagner nennt immer nur den Erlöser, nicht Jesus. Das Publikum kann sich selbst vorstellen, wer dieser Erlöser ist. Es gibt Bilder aus anderen Religionen, Kostüme, die vielleicht muslimisch aussehen oder buddhistisch. Aber die Inszenierung dreht sich nicht um Religion, sie ist sehr Wienerisch, mit dem Spital und den vielen besonderen Menschen, die damals in der Stadt lebten. Alle waren hier, Klimt, Mahler, es war der große Schmelztiegel Europas.

Wo bis heute die Oper eine herausragende Rolle spielt. Das ist anderswo nicht mehr so.

Es ist eine teure Kunstform. Man muss es sich auch leisten, in die Oper zu gehen – obwohl sie nicht teurer ist als viele Popkonzerte. Das Herz Wiens ist die Kultur. Städte leben durch ihre Kunst und Kultur. Anderswo gibt es auch ein Publikum, aber Ärger mit der Finanzierung. Wenn es den Menschen schlecht geht, müssen sie etwas unternehmen, und nicht einfach zuhause sitzen und fernsehen. Live-Musik berührt auf einzigartige Weise. Daher ist es schade, dass es so vielen Compagnien schlecht geht. Auch in Amerika ist die Regierung nicht stolz darauf, Kunst zu unterstützen, obwohl es so viel großartige Kultur von dort gibt, Komponisten, Musiker, einige der besten Orchester. Kein gutes Zeichen.

In Asien gibt es Geld und junges Publikum.

Ich war das erste Mal in Japan auf Tour – das ist verrückt, auf ganz wunderbare Weise. Auch in Peking tut sich viel. Die Regierungen dort müssen überzeugt sein, dass das gut ist für die Menschen. Es gibt viele Dinge aus dem Westen, die sie nicht mögen. Ich glaube, dass die großen europäischen Städte als Kulturstädte überleben werden. Aber vielleicht werden wir wirklich nach Asien gezogen. Wir Sänger gehen dorthin, wo die Arbeit ist.

Die neue Produktion

Richard Wagners deklariertes „Bühnenweihfestspiel“ wurde 1882 im Festspielhaus Bayreuth uraufgeführt. „Parsifal“ ist Wagners letztes Werk.

Regie und Bühne: Alvis Hermanis. Kostüme: Kristine Jurjane. Licht: Gleb Filshtinsky. Video: Ineta Sipunova. Dirigent: Semyon Bychkov. Mit u. a.: Christopher Ventris (Parsifal), Gerald Finley (Amfortas), Nina Stemme (Kundry), René Pape (Gurnemanz, am 30. 3. & 2. 4., danach Kwangchul Youn), Jochen Schmeckenbecher (Klingsor).

Wir sind Parsifal

Man muss Wagner nicht mögen, um seinen „Parsifal“ zu lieben; wahrscheinlich muss man nicht einmal Opernfan sein. Das Werk ist streng genommen gar keine Oper, sondern ein Bühnenweihfestspiel. Es beginnt auch nicht mit Musik, sondern mit einer Pause. Es sollte nirgendwo anders stattfinden als in Bayreuth. Und Klatschen nach dem ersten Aufzug wird missbilligt.

Eine Opernpremiere wie jede andere? Mitnichten.

Die KURIER-Kritiker sind sich einig: Es geht wenig bis nichts über „Parsifal“. Er steht für sich alleine. Und er ist ein zentraler Punkt der Musikgeschichte, den man bewundern kann, aber vor allem: genießen soll, auch auf die Gefahr hin, nicht mehr loszukommen. Es ist ein Wagner ohne oberg’scheiten Geltungsdrang: In seinem letzten Bühnenwerk musste der Meister nicht schulmeistern, keine große Geste mehr ausbreiten – er hatte einen Fuß und den Blick schon anderswo, bei den Blumenmädchen und im Jenseits. Entsprechend ätherisch, ja weltabgewandt ist der „Parsifal“. Mit dem „Tristan“-Akkord hat Wagner die Musik des 19. Jahrhunderts erstochen, mit dem „Parsifal“ überführt er sie sanft in Richtung all dessen, was im 20. Jahrhundert passieren sollte. Im warmwohligen Bade lauern all die Klippen, die schon bald auf die Musik zukommen sollten.

Der „Parsifal“ schärft auch die Sinne; wie die Welt funktioniert; was hinter den Kämpfen des Alltags erst beginnt. Wie soll man das szenisch auf die Bühne bringen? Gar nicht, ist keine Lösung. Das Scheitern ist impliziert. Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug – bei jeder Produktion ein neuer Versuch. (pj, geko, ley)

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