Oscar-Gewinnerin Larson: "Näher kann man sich nicht sein"

Oscarpreisträgerin Brie Larson über den Dreh zum Kidnapping-Drama, Mutterliebe und Geldmangel.

Eine junge Frau sitzt in einem neun Quadratmeter kleinen, fensterlosen Raum etliche Meter unter der Erde. Die Wand ist mit Zeichnungen tapeziert, die Einrichtung ist primitiv. In einem kleinen Holzverschlag, einem Kleiderkastern ähnlich, liegt das Kind der Frau, der 5-jährige Jack. Plötzlich wird die schwere Tür aufgesperrt und ein Mann – nur schemenhaft erkennbar – tritt ein. Er missbraucht die Frau. Immerhin schläft das Kind.

Was wie ein Gedächtnisprotokoll der Opfer im Fall Fritzl anmutet, ist eine Szene aus einem der beklemmendsten Kinofilme dieses Jahres. "Es ist eine Albtraum-Geschichte, die uns stets bis weit nach Drehschluss verfolgt hat", sagt Brie Larson, die für ihre Darstellung der gekidnappten und missbrauchten jungen Frau soeben mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Die Dreharbeiten zu "Room" in Kanada hätten alle Beteiligten schwer belastet: "Wir haben in einem nachgebauten Verlies gedreht. Abgesehen davon, dass es dort mit dem Kameramann und dem Beleuchter ziemlich eng war, hat sich das Ganze verdammt echt angefühlt. Richtig gruselig."

Wie beim Fall Fritzl

Brie Larson ist durch das Entführungsdrama, das frappant an den österreichischen Fall Fritzl erinnert – der Niederösterreicher hielt seine eigene Tochter 24 Jahre lang im Keller seines Hauses in Amstetten gefangen und zeugte mit ihr sieben Kinder – zum absoluten Hollywood-Shootingstar geworden. Inzwischen kommt keiner mehr an der 26-jährigen Kalifornierin, die Schauspielerin werden wollte, seit sie "denken konnte", vorbei. "Ich habe in die Rolle der Ma, dieser verzweifelten Mutter, mein ganzes Herzblut gesteckt", resümiert Larson beim Interview in London, "dabei habe ich mich an die Zeit mit meiner Mutter erinnert".

Larson war die Hollywoodkarriere definitiv nicht in die Wiege gelegt: Als sie sieben Jahre alt war, packte die Mutter eines Tages Brie und ihre Schwester Mimsy ins Auto und fuhr mit den beiden Mädchen von Sacramento nach Los Angeles – weit weg vom Kindesvater, von dem sie nur noch die Scheidung wollte. "Mom hatte 4000 Dollar in der Tasche und nur die allernötigsten Sachen mit." In L. A. mietete die Mutter ein Appartement, das "nicht viel größer war als die Kellerzelle in ,Room‘", erzählt Larson. "Es war die kärglichste Zeit unseres Lebens – aber zugleich auch die schönste. Denn wir hatten uns, wir hatten Mom, die uns wunderbare Geschichten erzählte und aus allem etwas basteln konnte. Näher als wir drei konnte man sich nicht sein."

Damals habe sie gelernt, dass Geld nicht alles ist. "Ich glaube nicht daran, dass materielle Dinge glücklicher machen", sagt sie im Brustton der Überzeugung. Daher habe ich auch bei meiner Karriere nie zuerst aufs Geld geschaut und lieber Independent-Filme gemacht, mit Rollen, die mich erfüllt haben. Wie man sieht, kommt der Erfolg ohnedies, wenn man etwas mit totaler Leidenschaft macht."

Wobei, so schränkt Larson ein, der Erfolg von "Room" nur zur Hälfte auf ihr Konto geht: "Mindestens genauso viel Anteil daran hat auch Jacob Tremblay, der den kleinen Jack spielt."

Er wird dann der Oscarpreisträger 2036.

Es gibt – wer sich die Spannung bewahren und den Film zuerst sehen will, bitte nicht weiterlesen! – ein Happy End in "Room": Dem kleinen Jack gelingt die Flucht und er kann auch seine Mutter retten. Aber die Freiheit ist kein Honigschlecken, leider. "Emma Donoghue, die das Buch und das Drehbuch zu ,Room‘ geschrieben hat, vergrub sich regelrecht in Gedankenspiele darüber, wie das Kind, das noch nie aus dem Keller hinausgekommen war, seinen Eintritt in die Welt verkraften würde", so Regisseur Lenny Abrahamson. "Und sie kam zum Schluss, dass das Dasein in der rauen Welt draußen sehr schwierig ist. Für Mutter und Kind. Fast wie ein neuerliches Trauma."

In einer rührenden Szene stehen Ma und der kleine Jack im Badezimmer der Großeltern und Jack sagt unvermittelt:"Ich vermisse den Kellerraum. Da hat es nur uns beide gegeben." Diese perfekte Zweisamkeit, wie beide sie nie wieder erleben werden. Plötzlich sind da viele "Störfaktoren" um sie herum.

Dass Donoghues Buch das Potenzial zum Kinohit besitzt, habe er gleich erkannt, als er es gelesen habe, meint Abrahamson: "Ich fand den Ansatz von Emma beeindruckend, die positiven Aspekte der Mutter-Sohn-Beziehung in dieser Extremsituation der Gefangenschaft herauszustreichen. Sie führte ganz plastisch vor Augen, wie Kinder aus dem ganz Wenigen, das sie haben, ihren eigenen Kosmos erschaffen können und damit zufrieden sind. Wenn sie nur in einer stabilen Beziehung leben und Geborgenheit spüren. Ich habe es dann als größte Herausforderung gesehen, diese Fähigkeit des kleinen Buben, selbst in der tristen Umgebung des Verlieses Glück zu verspüren, zu transportieren."

Der Fall Fritzl sei "eine Inspiration" für Emma Donoghue gewesen, aber sie wollte sich nicht nur auf die dunkle Seite schlagen: "Wie können Eltern trotz widrigster Umstände ihrem Kind noch etwas Positives vermitteln, das war die die zentrale Frage für uns beim Script. Ich denke, wir haben das dann ganz gut hingekriegt."

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