Opernstar Kulman hat "viel Positives" bewegt

Opernstar Kulman hat "viel Positives" bewegt
Die Sängerin spricht über ihre Initiative für faire Bedingungen für Künstler.

2011 schon hätte Elisabeth Kulman die Brangäne in Wagners „Tristan und Isolde“ singen sollen – ein Unfall verhinderte dies. Am Sonntag ist es nun soweit.

KURIER: Sie singen am Sonntag (8.12.) erstmals die Brangäne an der Wiener Staatsoper - eine besondere Herausforderung?
Elisabeth Kulman: Ja! Ich kann es kaum erwarten, in dieser gigantischen Oper endlich die Rolle zu singen, auf die ich mich schon lange vorbereitet und gefreut habe. Die Partie ist stimmtechnisch höchst anspruchsvoll, bietet gleichzeitig eine reiche Palette an Ausdrucksmöglichkeiten. Oft wird Brangäne in der Außenwahrnehmung nur auf die freilich wunderbaren „Rufe“ im zweiten Akt reduziert, doch die großen Herausforderungen liegen in stimmlicher Hinsicht vielmehr im intensiven ersten Akt.

Werden da Erinnerungen an Ihren Bühnenunfall 2011 wach, der ja bei einer Tristan-Probe war, wo Sie die Brangäne singen sollten?
Ich musste nun zwei Jahre auf dieses verspätete Debüt warten. Gleichzeitig konnte ich in dieser Zeit sehr viel über Wagner-Gesang lernen. Allein im heurigen Jubiläumsjahr habe ich mit so vielen verschiedenen Dirigenten Wagner musizieren dürfen – von Welser-Möst über Bychkov, Janowski, Nott bis Mehta, dass ich mir einen großen Erfahrungsschatz aneignen konnte, der mir nun zugutekommt.

Merken Sie noch irgendwelche Nachwirkungen?
Ich hatte Glück im Unglück, sodass ich vollständig genesen bin. Außerdem bin ich ein Mensch, der nach vorne blickt und auch in Schicksalsschlägen das Positive sieht. So konnte ich das Trauma überwinden und meinen stimmlichen Weg weiter erfolgreich fortsetzen. Meine Stimme ist topfit, und ich fühle mich in der Fülle ihrer Kraft. Darüber bin ich sehr glücklich und dankbar.

Wie gefällt Ihnen die Inszenierung?
Die Inszenierung gibt der Musik und dem Gesang viel Raum, die optische Ästhetik setzt auf klare Bilder und unterstützt den Fokus auf die Musik. Für uns Sänger ist die Akustik jedoch am allerwichtigsten. Hier haben wir ein auf allen Seiten offenes Bühnenbild, das heißt: Wir müssen sehr darauf achten, möglichst immer in Richtung Zuschauerraum und nicht zur Seite zu singen, da sich ansonsten der Klang in den Untiefen der Hinterbühne verflüchtigt und nicht am Ziel – beim Publikum – ankommt. Das schränkt unseren Bewegungsspielraum etwas ein. Nichtsdestoweniger freue ich mich riesig, gerade an meinem Stammhaus dieses Rollendebüt geben zu dürfen.

Sie haben in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit mit Ihrer Initiative "art but fair" bekommen. Merken Sie, dass Sie damit etwas verändert haben, und wenn ja, was genau?
Ja, wir staunen selbst, wie viel Positives bereits passiert ist! Wir haben da offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen. Dadurch, dass wir die Missstände im Kunst- und Kulturbetrieb öffentlich machen, setzt ein Bewusstwerdungs- und Solidarisierungsprozess ein: bei den Künstlern selbst, bei den Veranstaltern, Intendanten, beim Publikum und hoffentlich auch irgendwann bei den Politikern. Der Wille, die Probleme im konstruktiven Miteinander anzugehen, ist von allen Seiten spürbar. (News und Infos unter www.artbutfair.org)

Worin soll die "Revolution der Künstler" münden?
Der Beruf des Künstlers darf nicht länger unterprivilegiert sein, sondern soll wie alle anderen Berufe unter fairen, menschenwürdigen Bedingungen ausgeübt werden können und auch angemessen honoriert werden. Was so selbstverständlich klingt, ist bislang leider keineswegs, oft nicht mal ansatzweise Realität. Viele Künstler leben in prekären Verhältnissen und können allein von der Ausübung ihrer Kunst nicht leben. Kunst und Künstler müssen den Stellenwert und Respekt bekommen, der ihnen gebührt. Wir wünschen uns, dass nicht nur die Freiheit der Kunst in der Verfassung festgeschrieben ist, sondern auch die Förderung der Kunst und der Künstler erklärtes Staatsziel ist.

Sie fordern Gerechtigkeit in der Opernbranche ein. Hat es die jemals
gegeben?

Wenn nicht, dann wird es allerhöchste Zeit dafür!

Dumpingpreise und schlechte Arbeitsbedingungen gibt es vor allem in Branchen, in denen es zu viele Arbeitskräfte gibt, die einander Konkurrenz machen. Trifft das auf die Opernbranche zu?
Das Problem in der Klassikbranche an sich ist, dass bestens ausgebildete Instrumentalisten und Sänger aus aller Welt in das kleine Mitteleuropa, die Wiege der klassischen Musik, drängen und hier einen Job finden wollen. Es ist nur allzu offensichtlich, dass der hiesige Markt dadurch völlig überschwemmt wird, die Haifischmentalität unter den Künstlern zunimmt und die Moral bei den Machthabern ins Bodenlose sinkt.

Besonders herzhaft haben Sie den Salzburger Intendanten Pereira kritisiert, der auch heftig reagierte. Es standen sogar Klagen im Raum. Hat sich da etwas getan?
Ja, ich habe mich nach dem Sommer mit Herrn Pereira getroffen, die Sache ausdiskutiert und ad acta gelegt. Ich glaube an Konfliktlösung durch den konstruktiven Dialog im respektvollen Miteinander. Damit bin ich bislang immer am besten gefahren.

Wie ist die Lage an der Wiener Staatsoper? Haben Sie auch mit Direktor Meyer darüber gesprochen?
Selbstverständlich. Er war auch mein Diskussionspartner bei der 1. öffentlichen „art but fair“-Podiumsdiskussion, die im Mai an der Musikuni Wien stattfand, ebenso wie Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien. Ich bin mit allen im guten Gespräch. Auch finde ich gut, dass sich die Wiener Staatsoper etwa bei ihrem neuen Angebot des Live-Streams eindeutig im Sinne der Künstler positioniert und diesen Service nicht gratis, sondern zu einem kleinen Unkostenbeitrag anbietet. Das soll den Konsumenten bewusst machen, dass Kunst auch im Internet einen Wert hat und entsprechend abgegolten werden muss.

Für viel Aufsehen sorgten die sogenannten "Gagenlisten", die den Marktwert von Sängern festschreiben und unter den Intendanten kursieren. Sind solche Absprachen zulässig? Und: Kann man daran was ändern?
Die Gagenlisten gleichen Kartellabsprachen und sind nicht zulässig, zumal sie auch die in den Künstlerverträgen vereinbarte Schweigepflicht verletzen. In der freien Wirtschaft wären diese Absprachen undenkbar. Auch widersprechen sie allen Grundsätzen, die wir für „art but fair“ definiert haben.

Ist diese Gagenproblematik nicht auch ein Zeichen davon, dass es der Opernbranche zumindest in Europa schlecht geht? Die Arbeitsbedingungen werden ja in vielen Wirtschaftsbereichen schlechter.
Die Sängergagen von heute sind nichts im Vergleich zu denen vor 20, 30 oder mehr Jahren. Ein Spitzensänger damals war stinkreich. Heute sind es nur eine Handvoll Superstars, gepusht von den großen Plattenfirmen, bei denen der Rubel so richtig rollt. Dagegen steht eine Anfängergage von 1.650 Euro brutto monatlich. Das Einkommen der freien Künstler liegt oft noch weit darunter und macht ein Überleben allein aus künstlerischer Tätigkeit fast unmöglich.

Die Staatsoper gastierte kürzlich erstmals im Oman, weitere arabische Länder sollen folgen, viel Geld ist auch in Asien für die Oper zu verdienen. Verliert Europa an Bedeutung für die Branche?
Grundsätzlich ist es gut, wenn sich die Opernbranche auf die anderen Kontinente ausweitet. Durch diese „Globalisierung“ könnte der überlaufene europäische „Markt“ entlastet werden.

Wohin geht Ihre künstlerische Reise nach Rollen wie Brangäne?
Im Wagner-Fach bleibe ich derzeit bei meinen angestammten Rollen im Ring (Fricka, Erda, Waltraute). Mit Brangäne und den Wesendonck-Liedern habe ich ein schönes Repertoire abgedeckt. Ganz wichtig ist mir der Ausgleich mit dem italienischen und französischen Fach wie etwa der Carmen, die ich gerade in einer Neuproduktion für Hamburg erarbeite (Premiere: 19. Jänner 2014). Danach kommen Mozart mit Nikolaus Harnoncourt im Theater an der Wien und mit Marc Minkowski bei den Salzburger Festspielen, Liederabende und eigene Projekte, mit denen ich Stimme, Herz und Hirn wach und flexibel halte. Ich bin mit Leib und Seele Sängerin, und so möge es noch lange bleiben!

Hier geht's zum Live-Stream, am 13. Dezember ab 15.30 Uhr (GMT)

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