Anna Netrebko: Lieber Powerfrauen als Weibchen

Anna Netrebko
Der Opernstar über neue Rollen, das Glück mit Yusif, Verehrer und Gegner. Plus: Die Kritik zur heute erscheinenden neuen CD

Geliebt, gefeiert, verehrt, vergöttert, aber von manchen auch angefeindet: Anna Netrebko lässt niemanden kalt. Den die russische Sopranistin mit Wiener Wohnsitz ist der Opernstar des 21. Jahrhunderts, setzt mit fast all ihren Interpretationen künstlerische Maßstäbe. Im KURIER-Interview verkündet sie spektakuläre Pläne.

KURIER: Sie haben zuletzt bei den Salzburger Festspielen als Puccinis "Manon Lescaut" einen Triumph gefeiert. Auch auf Ihrer neuen CD ist Puccini sehr präsent, bis hin zur "Turandot". Wird das Ihr neues Repertoire?

Anna Netrebko: Also die Manon Lescaut liebe ich heiß, denn das ist eine sehr starke Frau. Voller Liebe, Leidenschaft und Kraft. Darin ist sie mir ähnlich. (lacht) Aber es stimmt. Diese Partien, die ich auf der CD singe, werden alle auch auf der Bühne kommen. Meine Stimme hat sich einfach in diese Richtung hin entwickelt. Und wenn wir ehrlich sind: Diese Powerfrauen sind doch viel interessanter als all die schmachtenden Belcanto-Weibchen.

Welche Rollen kommen konkret neu?

An der New Yorker Met singe ich die Tosca, fixiert sind auch Adriana Lecouvreur und die Maddalena in ,Andrea Chénier’. Und natürlich eines Tages Turandot.

Bei den Salzburger Festspielen singen Sie 2017 die Titelpartie in Verdis "Aida" ...

Darauf freue ich mich sehr. "Aida" mit Riccardo Muti am Pult und mit meinem Mann Yusif als Radames – etwas Schöneres gibt es kaum. Yusif alterniert nämlich mit Francesco Meli. Damit sind wir alle wieder vereint. Immerhin habe ich Yusif ja bei einer Opernproduktion mit Riccardo in Rom kennen und lieben gelernt.

Und es war Liebe auf den ersten Blick?

(lacht) Sagen wir auf den zweiten! Dafür dann aber umso intensiver.

Wie wichtig ist ein erfülltes Privatleben für Ihren Beruf?

Das Wichtigste überhaupt. Nur wenn ich selbst glücklich bin, kann ich auf der Bühne anderen Menschen Glück schenken. Außerdem unterstützt mich Yusif sehr. Sogar bei solchen Projekten wie "Lohengrin" in Dresden.

Der zum Triumph wurde ...

Gott sei Dank! Christian (Thielemann, Anm.), Piotr (Beczala, Anm.) und das gesamte Ensemble haben mir sehr geholfen und mich auf Händen getragen. Denn so eine leichte Partie ist die Elsa ja auch wieder nicht. Vor allem wegen der Sprache. Dieses Wagner-Deutsch ist eine Welt für sich. Aber zur Sicherheit gab es auch einen Teleprompter mit dem Text für mich.

Nun ist Christian Thielemann ja Musikdirektor bei den Bayreuther Festspielen. Wären Bayreuth, wären andere Wagner-Partien eine Option für Sie?

Warum nicht? Wenn man mich dort will. "Lohengrin" etwa würden wir alle gern wieder machen. Ich hoffe sehr, dass das auch passiert. Und ich hatte schon diverse Anfragen aus dem deutschsprachigen Fach ...

Welche zum Beispiel?

"Ariadne auf Naxos" etwa. Oder auch die "Salome" von Strauss. Ich denke auch, dass "Salome" in naher Zukunft kommen wird. Noch so ein wirklich starker, komplexer Charakter.

Sie sind selbst eine sehr starke Frau. Ist diese Stärke auch notwendig, um sich als Superstar zu behaupten?

Bin ich denn ein Superstar? Ich sehe das eigentlich gar nicht so. Ich bin einfach nur Anna, eine ganz normale Frau, die zufälligerweise recht passabel singen kann. Aber wenn mich manche Menschen als Star sehen wollen, ist das schön. Das ehrt mich natürlich. Und genau deswegen gebe ich immer mein Bestes. Ich will die Menschen, die oft viel Geld zahlen, um mich und meine Kollegen zu hören, nie enttäuschen. Das bin ich, das sind wir dem Publikum schuldig.

Es gibt aber auch Menschen, die Sie etwa via Internet massiv ablehnen ...

Das prallt an mir ab. Niemand muss mich lieben, niemand muss mir zuhören. Es ist natürlich schöner, geliebt zu werden. Aber diese oft feigen, anonymen Poster lassen mich kalt. Damit muss leider jeder leben, der nur ein bisschen in der Öffentlichkeit steht. Und ich versuche ja auch, die Menschen über soziale Medien an meinem Leben teilhaben zu lassen. Die ganz private Anna aber geht nur meine Familie und meine Freunde etwas an.

Ist denn die "ganz private Anna" so anders?

(lacht) Nein, sie ist so, wie wir jetzt dasitzen: Nämlich ganz entspannt und angeblich auch ziemlich lustig . ..

Wie lustig ist es, permanent in der Öffentlichkeit zu stehen?

Alles hat Vor- und Nachteile. Wenn einem jemand nur aufgrund deines Namens für eine Aufführung ein schönes Kleid zur Verfügung stellt, ist das sehr fein. Wenn du aber auf Schritt und Tritt von Kameras verfolgt wirst, kann das auch nervig sein. Aber ich schütze meine Privatsphäre recht gut.

Wo sehen Sie sich beruflich wie privat in zehn oder 20 Jahren?

Irgendwo glücklich mit meiner Familie lachend.

Die Kritik der neuen CD

Das Einzige, das auf dieser CD nicht sonderlich schön ist, ist das Cover. Aber lassen Sie sich davon nicht irritieren: Der Inhalt ist großteils phänomenal.

Anna Netrebko singt auf dem Album „Verismo“ (Deutsche Grammophon) jenes Repertoire, für das sie heute ideal ist, das große Divenfach. Ihre Stimme ist sehr dunkel geworden, man kann sich mittlerweile weitere Wagner-Rollen von ihr vorstellen. Ihr Sopran ist kraftvoll, aber das war er schon immer, auch im russischen Fach. In manche Partien legt sie zu viel Vibrato (etwa Tosca), es ist aber insgesamt eine Freude, diese große Künstlerin bei der Eroberung neuen Terrains zu beobachten.

Anna Netrebko: Lieber Powerfrauen als Weibchen
CD
Puccinis Manon Lescaut (den gesamten 4. Akt) singt sie zutiefst berührend, intensiv, Phrasierung und Artikulation sind traumhaft. Auch auf dieser CD wird sie dabei von Yusif Eyvazov begleitet, der sich tapfer neben ihr hält. Am allerbesten ist ihre Gestaltung der Turandot („In questa reggia“) – das hat man wahrscheinlich seit Birgit Nilsson nicht mehr so gut gehört. Ihr Ausdruck ist mächtig, ihre Höhen sind hier ganz präzise, die Intonation ist perfekt, sie schafft die Kombination aus größter Dramatik und verblüffenden Kantilenen. Wenn Sie diese Puccini-Prinzessin einmal auch auf der Bühne singt, könnte das ein Weltereignis werden.

Auch bei „La mamma morta“ („Andrea Chénier“) ist sie unübertrefflich, für „Un bel di vedremo“ („Butterfly“) ist ihre Stimme schon etwas schwer, die Tosca (ihr Debüt wird an der MET sein) muss sie sich noch erarbeiten.

Antonio Pappano am Pult des Orchesters von Santa Cecilia macht alles, um Netrebko glänzen zu lassen.

(geko)

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