Thomas Bernhards "Auslöschung": "Ein Sprachsturzbach!"
Oliver Reese kommt bestens gelaunt von der Probe. Er schwärmt von seinen Schauspielern (Wolfgang Michael, Martin Zauner, Udo Samel und Christian Nickel). Reese ist schlagfertig, konzentriert und wirkt in seiner unironischen Geradlinigkeit sehr deutsch, oder besser: unösterreichisch.
KURIER: Es ist ein interessanter Zufall, dass Sie in der Josefstadt Bernhard inszenieren, und Claus Peymann inszeniert gleichzeitig an der Burg Handke. Sie lösen Peymann ja 2017 als Intendant des Berliner Ensembles ab, und er hat sich nicht sehr freundlich über Sie geäußert.
Oliver Reese: Ach ja ... Er ist auf meine jüngste Premiere gekommen, "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in Recklinghausen, und es hat ihm gefallen. Wir sind in professionellem Kontakt.
Er hat ja in einem berühmten Interview gespottet über den Berliner Kunststaatssekretär Tim Renner und dabei gemeint, Sie seien ja ein ganz ähnlicher Typ.
Wenn man so schön ist wie der Peymann, dann kann man das leicht sagen! Reden wir doch lieber über Thomas Bernhard, und darüber, alles auszulöschen!
Wie schwierig war es, aus diesem Riesenbuch mit Schere und Klebestreifen ein Stück zu machen?
Nicht so schwierig, komischerweise. Denn ich denke, die endlosen, monomanen Suaden, die sind nicht mehr so interessant wie vor 20 Jahren. Interessant ist der Bernhard da, wo er persönlich wird, wenn es um die Familiengeschichte geht. Mein Ansatz ist, die Geschichte ganz aus der Person des Franz-Josef Murau heraus zu erzählen. Und die Geister seiner Lebensgeschichte irrlichtern durch seine Erinnerung.
Es heißt, der Roman ist sehr nah am Theater gebaut.
Ich stimme dieser These nicht zu. Ich denke, dass diese extreme Form der Stilisierung, der indirekten Rede, damals, in den frühen Achtzigern, für das Theater noch sehr ungewöhnlich war. Es kommt uns fast Jelinek-haft vor. Ein Sprachsturzbach! Ich finde eher interessant, dass er in Murau eine Figur erfindet, die nur scheinbar biografienah ist. Franz-Josef Murau ist nicht Thomas Bernhard, bei aller Nähe. Bernhard hat hier mehr Literatur gemacht als sonst. Bernhard selbst hat sich wesentlich radikaler verhalten als dieser Murau.
Faszinierend ist ja der Gedanke, etwas durch Schreiben "auszulöschen".
Das ist natürlich ein paradoxer Versuch. Bernhard schreibt ja oft von "Zerstörung", "Zersetzung", "Zerlegung", er mäandert um diesen Begriff herum. Und ich finde das unheimlich faszinierend. Richard Wagner wollte immer Erlösung und Erlösung dem Erlöser, Bernhard will Auslöschung dem Auslöscher. Er schreibt sich einen Flammenwerfer herbei, aber er gibt ihn einer Figur in die Hand, die nie auf den Knopf drückt.
Bernhard hat im Testament ein Aufführungsverbot verfügt, das später umgangen wurde. Wollte er verschwinden?
Das hat ihn sicher fasziniert. Aber andererseits hat er "Auslöschung" ja doch zu Lebzeiten herausgebracht, es hat ihn dann doch interessiert, wie die Welt auf sein dickstes Buch reagiert. Er hat ja sein Opus magnum schreiben wollen. Mein Gefühl ist übrigens: Ein bisschen viel Wasser hat er in diesen Tee geschüttet. 400 Seiten hätten auch gereicht. Ich erhoffe dem Theater in der Josefstadt viele Besucher, die sich nicht die 650 Seiten zumuten wollen, aber doch unsere zweieinhalb Stunden.
Was gerade in Österreich oft unterschlagen wird, ist der Humor in Bernhards Texten.
Ja, finde ich auch. Ich hoffe, dass die Menschen im Theater lachen müssen. Ich finde auch nicht, dass man etwas weniger ernst nimmt, wenn man seine komische Seite zeigt. Ein Satz wie "Die höchste Kunst ist die Begräbniskunst" ist doch eine hinreißende Pointe!
Bernhard wurde bei uns oft mit seinen Figuren verwechselt und als Österreich-Beschimpfer verstanden.
Das ist ein Fehler! Er hat nicht einfach erfundene Namen auf Bernhard-Sprech geklebt. Er hat sehr genau Figuren und Konstellationen erfunden. Und zwischendurch passiert es ihm, dass er die Figur verliert, da kommt dann so eine Suada über die Fotografie, und man denkt: Na komm, das willst jetzt du ganz persönlich uns einmal hinter den Spiegel stecken! Wobei er wirklich hellseherisch war!
Er schreibt über das Fotografieren: "Fortwährend haben sie nichts im Kopf, als sich selbst darzustellen und immer auf die abstoßendste Weise." Als hätte er den Selfie-Wahnsinn vorausgesehen!
So wie Goethe im "Faust" den Wahnsinn unserer rasend beschleunigten Welt vorweggenommen hat, so hat der Bernhard diese unablässige Selbstbetrachtung und Selbstauslöschung im Selfie vorausgesehen.
Sie haben großen Erfolg als Intendant des Schauspiel Frankfurt. Eine blöde, aber nicht ganz unwichtige Frage: Wie macht man das? Bei uns herrscht eher Krisenstimmung.
Es gibt kein Patentrezept. Man muss sich selber treu bleiben und mit dem eigenen Kopf denken, nicht mit dem Kopf des Abonnenten. Die Leute holen, für die man sich begeistert. Wenn Sie sich nach Trends und Moden und tollen Kritiken richten, liegen Sie schon falsch. Ich plädiere dafür, zu schauen: Welche Regisseure, welche Schauspieler habe ich, was können die am besten?
Werden Sie es am Berliner Ensemble auch so machen?
In Berlin haben Sie fünf Theater, und das Berliner Ensemble hat eine sehr spezifische Geschichte. Das BE ist nun einmal das Haus, das von zwei bedeutenden Dramatikern geleitet wurde, insoferne leite ich den Wunsch einer Autorentradition ab.
Sie wollen Autoren überreden, für das Haus zu schreiben?
Ja. Ich habe früher vor allem mit Regisseuren geredet, jetzt rede ich vor allem mit Autoren.
Gibt es genug Autoren?
Genug für die Kammerspiele, für die Studios, aber nicht genug für die großen Häuser. Vor 20, 30 Jahren gab es Thomas Bernhard, Heiner Müller, Franz Xaver Kroetz, Botho Strauß, Peter Turrini.
Kommen solche wieder?
Ich klopfe drei Mal auf Holz.
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