Dirigent Honeck: "Der Kampf wird noch härter"

Dirigent Manfred Honeck über das Ringen um junges Publikum und die Zukunft der Klassik.

Im Wiener Musikverein wird das renommierte Pittsburgh Symphony Orchestra – geleitet vom Österreicher Manfred Honeck – bei seiner Residency (26. bis 28. Mai) u. a. Tschaikowsky, Haydn und Beethoven spielen.

Das US-Orchester lebt den breiten Spagat zwischen Klassiktradition auf hohem Niveau und dem aktuellen Leben in der ehemaligen Stahlstadt. Popstars wie Pat Benatar gastieren, Schauspieler Alec Baldwin stellt seine Lieblingsstücke vor, das Orchester spielt Musik aus "Herr der Ringe", Songs von David Bowie oder auch ein Konzert für autistische Menschen. Ein Interview über Probleme, Aufgaben und die Zukunft eines Orchester in der heutigen Zeit.

KURIER: Man hört aus den USA, dass viele der Klassik-Klangkörper und -Häuser Geldschwierigkeiten haben. Ist der Kampf härter geworden?

Manfred Honeck: Da haben Sie sicher recht. Das war sehr zu spüren, als 2008 die große Krise ausgebrochen ist. Uns hat es nicht ganz so getroffen wie andere. Aber jedes Orchester hat Einbußen erlebt. Jedes. Das war bei uns nicht anders. Es ist ein ständiger Kampf.

Weil es den Sponsoren und Spendern schlechter geht?

Es hat Vor- und Nachteile, wenn sich Sponsoren um ein Orchester kümmern. Man spürt diese Leidenschaft für das Orchester, da sind die Amerikaner umwerfend. Aber wenn die Reichen Geld verlieren, dann kann es schon passieren, dass die Geldquellen ein wenig versickern.

Insbesondere in einer Stadt wie Pittsburgh – jahrzehntelang ein Stahlzentrum, dann vom Niedergang schwer getroffen.

Pittsburgh war früher eine der wichtigsten Städte, mit großen Familien wie der Familie Heinz, bekannt durch Heinz Ketchup. Wir spielen ja auch in der Heinz Hall. Viele der Institutionen sind aus Pittsburgh abgewandert, als die Stahlindustrie niedergegangen ist. Das hat natürlich Auswirkungen auf die kulturelle Szene gehabt.

Zuletzt aber rühmt man sich mit einem Aufschwung.

Pittsburgh hat investiert: in Computertechnik, Medizin und viele Universitäten. Es ist eine lebendige Stadt geworden. Das Leben blüht, die Menschen ziehen auch wieder zurück nach Pittsburgh. Gott sei Dank! Wir sind sehr zufrieden, aber der Kampf ist groß. Der Staat gibt kein Geld. Das wäre in Europa kaum möglich. Die kulturelle Landschaft würde völlig versiegen, wenn der Staat nicht diese Unterstützung gäbe. Da würden viele Orchester zusperren müssen.

Wie wichtig ist die Kultur in so einem Umbruch?

Die Pittsburgher sind sehr stolz auf das Orchester. Wir feiern 120-Jahr-Jubiläum. Es ist das kulturelle Zentrum Pittsburghs, die Menschen scharen sich um das Orchester.

Und das Orchester kommt den Menschen sehr stark entgegen. Ist das wichtiger als in Europa?

Das ist in Europa auch wichtig. In Amerika gibt es sehr großen Enthusiasmus, auch gegenüber der Bildung. Die Musiker geben die Zeit dafür. Ich spreche vor Schülern, und die kommen dann auch ins Konzert. Zuletzt habe ich über das Programm der nächsten Saison gesprochen – vor 60 Juristen. Wir wollen neue Wege gehen, wir wollen ausbrechen aus dem, was wir gewöhnt sind.

Zum Beispiel?

Am Anfang des Konzertes lassen wir ein Video abspielen, das Interviews mit Musikern zeigt. Sie sprechen über das Stück, das zu hören sein wird, und auch darüber, was in ihnen dabei vorgeht. Das hat gewaltig eingeschlagen. Das Publikum liebt es, eine Verbindung mit den Musikern zu bekommen. Und die Amerikaner sind ja mit Film aufgewachsen, vielleicht mehr noch als bei uns.

Auch Filmstar Alec Baldwin hat bei Ihnen gesprochen.

Ich habe ihn gefragt, ob er nicht einen Abend bei uns gestalten will. Und so hatten wir dann "Alec’s Playlist". Er wollte keine kurzen Stücke, keine Kleinigkeiten, sondern wirklich etwas Handfestes präsentieren. Ich fragte: "Warum nicht Beethovens Fünfte?" Aber Baldwin meinte, das kennt ja eh jeder. Er hat dann Berlioz spielen lassen. Das hat mich unheimlich fasziniert: Man kann ausbrechen, man kann neue Dinge gestalten, die die Menschen auch zum Nachdenken bringen. Hoffentlich.

Fehlt der Mut dazu in Europa?

Seien wir doch ehrlich: Wir leiden nicht darunter, dass wir zu wenig machen. Wir machen wahnsinnig viel. Jedes Orchester bemüht sich. Ich habe aber den Eindruck: Es nützt nicht so wahnsinnig viel. Das wirkliche Problem liegt darin, dass der Musikunterricht in der Schule nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist. Das war in Amerika schon viel früher so als in Europa. Und ich finde es unglaublich, dass wir – in Europa und Amerika – das zulassen. Wir leben von diesen jungen Menschen. Wenn die diese Grundlage nicht vermittelt bekommen, dann ist es wahnsinnig schwer, sie für Konzerte zu interessieren. Und wir spüren das, damit kämpfen wir. Die denken sich dann: Da gehen die reichen Leute hin, da muss man sich schön anziehen. Das ist natürlich längst nicht mehr so. Sollen sie doch in Jeans kommen! Niemand regt sich mehr auf.

Lässt sich das herumreißen?

Ich sage es ein bisschen überspitzt, nicht ganz so optimistisch, wie ich als Mensch gerne bin: Der Kampf wird noch härter werden. Lassen wir unsere Kinder doch auch mal einen Mahler hören! Ich bin überzeugt, dass viele Gefallen an der Musik finden. Und wenn man das nicht macht, kommen die nicht. Dann kann man plakatieren, was man will. Überall dort, wo die jungen Menschen zur Musik hingeführt werden, gibt es ein fruchtbares Kulturleben. Wenn man einmal die Liebe zur klassischen Musik entwickelt hat, lässt sie einen das ganze Leben lang nicht mehr los.

Wie hat sich denn das Orchester unter Ihnen verändert?

Wenn man ein amerikanisches Orchester übernimmt, weiß man, dass die technisch hervorragend sind. Und sie kommen extrem gut vorbereitet zur ersten Probe. Da kann man sofort Musik machen. Ich habe sehr viele Ideen aus der Wiener Tradition in mich aufgenommen. Das ist vielleicht der Grund, warum sie mich gewählt haben: Um diese Flexibilität zu lernen. Diese Flexibilität, die klanglichen Nuancierungen sind mir von Anfang an wichtig gewesen. Dieses Geheimnis des Walzer-Spielens, die Übergänge, das ist in Fleisch und Blut übergegangen. Man kann dem Orchester jetzt jeden Walzer geben, und sie verstehen das. Das ist in unserer Musik überall drinnen, bis hin zu Mozart. es macht mir Riesenspaß, diesen fantastischen Musikern diese Hintergründe zu erzählen. Es ist eine Symbiose von technischner Perfektion und musikalischer Denkweise.

Wo steht das Orchester im internationalen Vergleich?

Das Orchester ist nicht austauschbar: Sie erkennen die Pittsburgh Symphony, mit dieser brillanten Tongebung und dieses geschmeidige Einfühlungsvermögen und diese Energie.

Und was erwartet das Wiener Publikum? Ausführlich gehört hat man das Orchester zuletzt 2012 im Musikverein.

Wir gehen in Pittsburgh intensiv an die Musik heran. Ich hoffe, dass in Europa verstanden wird: Was das Pittsburgh Symphony ausmacht, ist die Energie. Es ist ganz, ganz besonders, wie die Musiker sich auf das musikalische Geschehen einlassen. Von Technik braucht man nicht reden, es ist unglaublich, was die Amerikaner drauf haben. Ich denke, dass die Menschen in Europa den Klangkörper mit Tschaikowsky neu entdecken können.

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