Ofczarek: "Hinter der Fassade gähnt ein Abgrund"

Ofczarek: "Hinter der Fassade gähnt ein Abgrund"
Nicholas Ofczarek über Rausch, Komödie, das Verdrängen, die Qualität des Lachens, Freundschaft und über die ständige Angst.

Der Burg-Star kommt von einer Probe für Labiches Leichen-im-Keller-Komödie "Die Affäre Rue de Lourcine". Premiere: 18. April.

KURIER: Sie haben den Ruf, in Probenzeiten sehr angespannt zu sein. Wie geht es Ihnen?

Ofczarek: "Hinter der Fassade gähnt ein Abgrund"
Nicholas Ofczarek und Sebastian Brauneis vor dem Restaurant Vestibül. Wien, 01.12.2014
Nicholas Ofczarek:Ja ... Endproben! (lacht). Das ist ja eines der kürzesten Stücke, gemessen an der Seitenzahl – es sind nur 36 Seiten. Aber das Stück ist voller Fallstricke. Es ist in der Vaudeville-Komödiendramatik des 19. Jahrhunderts geschrieben. Aber da es so kurz ist, ergreifen wir die Chance und gehen in die Verlangsamung. Wir haben nämlich bemerkt, dass sich im Rausch, im Schwebezustand die Dinge tatsächlich verlangsamen – man kennt das ja. Dadurch bekommt die Geschichte eine andere Seltsamkeit, ein anderes Irrlichtern, die Figuren geistern beinahe durch ihre surreale Welt. Das könnte so ein Abend werden, getragen von einer sehr morbiden Poesie.

In dem Stück geht es ja darum: Es braucht nur wenig – und furchtbare Dinge sind möglich.

Ja – sie sind möglich. Wir wollen aber die Chance ergreifen, dass der Abend auch etwas über den Menschen an sich erzählt, nicht so weit wegrückt ins 19. Jahrhundert. Wir wollen die Geschichte nicht "ins Heute", aber an uns Menschen heranholen.

Es geht um Leichen im Keller, um gar nicht so weiße Westen, wir kennen das ja ...

Genau. Und die Korruption, das Bestechen, das Verdrängen und Wegdrücken ... vor lauter Verdrängen weiß man gar nicht mehr, wer man selber ist, denn das Verdrängen wird Bestandteil der eigenen Biografie. Hinter der bürgerlichen Fassade gähnt ein Abgrund.

Das ist ja typisch für Sie, dass Sie Komödien-Figuren sehr abgründig spielen – von "Höllenangst" über "Was ihr wollt" bis "Lumpazivagabundus".

Na ja ... Ich selber lache, wenn ich mich im Geschehen erkenne, nicht, wenn man mir den Witz vorspielt und ich bevormundet werde, wann ich zu lachen habe. Wenn wir es schaffen, dass man über die Erkenntnis lacht, die den Zuschauer plötzlich überfällt, dann ist das Lachen von einer anderen Qualität. Danach strebe ich. Ich kann es auch anders, aber das würde mir weniger Freude machen. Wir bedienen auch nicht diese bekannte Tür-auf-Tür-zu-Dramatik. Man sieht das ja oft auf der Bühne – wenn auch selten wirklich gut.

Und schon wieder spielen Sie im bewährten Duo mit Michael Maertens.

Wir sind fast schon ein Ehepaar! Das ist lustig und hat sich so ergeben – Michael ist der Partner, mit dem ich in den letzten Jahren am häufigsten gearbeitet habe.

Dabei haben Sie einander am Anfang gar nicht so gemocht. Sie seien "wie Kater mit gesträubtem Fell umeinander geschlichen", hieß es einmal.

Das hat sicher er gesagt (lacht)! Ja, wir kennen einander heute schon besser, aber wir sind halt sehr verschieden, als Menschen, wie wir an Dinge herangehen. Aber darin kann ja auch ein Reiz liegen. Wir sind zwei verschiedene Planeten, aber auf eine merkwürdige Weise harmonieren wir dabei. Ich glaube, wir gehen einander manchmal auch wahnsinnig auf die Nerven, nach wie vor. So wie alle klassischen Komiker-Paarungen vermutlich. Daraus entsteht ja auch Kraft.

Suchen Sie Freundschaften bei der Arbeit, wie etwa mit Robert Palfrader oder Ben Becker?

Ich bin gerne Schauspieler, weil ich mit Menschen arbeiten, interagieren kann – (lacht) natürlich auch wegen der Ehre, dem Erfolg – aber das kommt erst später. Ich glaube, dass es für das Publikum interessanter ist, wenn zwischen den Menschen auf der Bühne jeden Abend etwas Neues passiert, wenn man einander überrascht, wenn man sich matcht, auf eine produktive Weise. Das hat mit Freundschaft erst einmal nichts zu tun.

Florian Teichtmeister sagte über Sie, Sie könnten "unglaublich scharfe Pässe unglaublich präzise schlagen". Gefällt Ihnen diese Beschreibung?

Ja, denn ich will meine Partner ja nicht liebkosen – es ist schon ein Match! Ich gebe aber keine Vorlage, die nicht zu erreichen ist und keinen Pass, den man nicht stoppen kann – denn im Idealfall möchte ich ja einen Doppelpass vom anderen kriegen. Dann kann auch sehr gerne der andere einnetzen, ich muss nicht die Tore schießen. Nicht immer! (lacht).

Sie gelten als Freund der gewissenhaften Vorbereitung.

Es ist sehr hilfreich, wenn sowohl der Schauspieler als auch der Regisseur mit einem gewissen Rucksack an Vorbereitung in die Proben gehen, weil man so eine gewisse Freiheit im Spiel erreicht, wo es abhebt. Es macht das Arbeiten für alle leichter.

Sie waren gerade europaweit in "Das Team" im Fernsehen sehr beeindruckend präsent, in der Rolle eines skrupellosen Menschenhändlers. Gibt es da Überlegungen im Hinterkopf bezüglich einer internationalen Filmkarriere wie Christoph Waltz oder als Bond-Bösewicht wie Brandauer?

Ich habe das nicht im Hinterkopf ... obwohl: im Hinterkopf vielleicht schon. Aber nicht in der Art: Da will ich hin. Das kann sich ergeben, aber es muss nicht sein. Theaterschauspieler werde ich immer bleiben.

Gerade als DVD erschienen ist die neue ORF- Serie "Altes Geld". Wie war die Zusammenarbeit mit Regisseur David Schalko?

Sehr gut! David ist ja eher ein ruhiger Typ, der nicht allzu viel redet am Set, er schenkt dir Vertrauen, und das solltest du dir nehmen – dann entsteht ein Schwebezustand, sofern das bei einem Filmdreh möglich ist. Ich arbeite gerne mit ihm und verstehe seinen Humor.

Zu Beginn der Dreharbeiten starb Gert Voss.

Ja, das war ... völlig absurd. Einen Unersetzbaren zu ersetzen – und das muss ja leider immer möglich sein – ist ein sehr seltsamer Vorgang.

In einem Profil-Interview sprachen Sie über Ihre ständigen Ängste. Dabei wirken Sie stets sehr selbstsicher.

Ist aber nicht so (lacht). Im Theater muss man ganz zu Beginn dem Stück erst einmal eine Struktur geben. Man geht beim Proben sehr viele Irrwege, weil du ausprobierst, weil du Fehler machen musst. Ich bin ein Mensch, dem diese Fehler unangenehm sind. Ich schäme mich für sie, sie machen mir Angst. Ich brauche zuerst die Struktur – um mich später von ihr befreien zu können. Wenn ich diese Struktur nicht habe, dann werde ich haltlos, wie ein kleines Kind. Ich schlafe dann schlecht, bin von Unruhe getrieben. Die Angst ist da, und sie geht auch nie ganz weg. Erst wenn ich auf die Bühne gehe und Zuschauer habe: Dann ist sie weg.

Er kam am 30. Mai 1971 zur Welt, seine Eltern waren Opernsänger. Er zählt zu den auffälligsten Schauspielern seiner Generation, brilliert im Burgtheater, aber auch in Kinofilmen und TV-Produktionen ("Braunschlag", "Das Team"). Von 2010 bis 2012 spielte er in Salzburg den Jedermann. Ofczarek unterrichtet am Max Reinhardt Seminar, das seine Frau Tamara Metelka leitet. Zuletzt drehte er unter der Regie von David Schalko die TV-Serie "Altes Geld", die ab Herbst vom ORF ausgestrahlt wird – aber bereits als DVD erhältlich ist.

Eugène Labiches "Die Affäre Rue de Lourcine" ist ein Klassiker des Vaudeville-Theaters (Theater mit Musikbegleitung). Das Stück wurde 1857 in Paris uraufgeführt, die im deutschsprachigen Raum populäre Fassung von Elfriede Jelinek wurde erstmals 1988 in Berlin gezeigt. Die Handlung: Zwei Männer glauben, sie hätten im Rausch einen Mord begangen – und unternehmen immer groteskere Versuche, die Tat zu vertuschen. Labiche zeigt eine Spießbürgerlichkeit, hinter deren Fassade furchtbare Abgründe klaffen.

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