Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

Gustavo Dudamel und die Wiener Philharmoniker.
Gustavo Dudamel dirigierte die Wiener Philharmoniker – ein musikalischer Weckruf.

Gestatten Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, eine Vorbemerkung – nicht, um das in weiterer Folge Gesagte zu relativieren, sondern um Respekt vor einem wichtigen Künstler auszudrücken: Der Autor dieser Zeilen schätzt den Dirigenten Gustavo Dudamel sehr. Dieser ist ein Glücksfall für die klassische Musik, weil er Menschen zu begeistern vermag wie nur wenige andere. Er ist schlagtechnisch jetzt schon exzellent, und man versteht den legendären Pierre Boulez, der Dudamel als den Begabtesten überhaupt bezeichnet hatte. Er verfügt über eine enorme, kreative wie physische, Energie. Und sein Lächeln ist für Musikerinnen und Musiker bestimmt ansteckend.

Jugendlich-dramatisch

Insofern ist gut nachvollziehbar, warum die Wiener Philharmoniker ihn, den 35-jährigen und bisher jüngsten Mann, am Pult des Neujahrskonzertes mit dessen Dirigat betrauten (dem Vernehmen nach war ursprünglich Lorin Maazel vorgesehen gewesen, der 2014 starb).

Leider ging dieses Experiment, und es war Repertoire- und erfahrungsmäßig ein solches, nicht wie erhofft auf. Denn Dudamel ließ an diesem Sonntagvormittag im prachtvoll geschmückten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins ausgerechnet jene mitreißende Energie, die man von ihm erwartet hatte, vermissen. Aber wahrscheinlich müssen wir ohnehin alle Klischees, die ihm vorauseilen, vergessen und den höchst seriösen Musiker ausschließlich an seiner eigenen Darbietung messen.

Das Neujahrskonzert unter Gustavo Dudamel: Eine verblüffend kalte Angelegenheit, zumindest was die Emotionen, die sich vom Podium übertrugen (oder auch nicht), betrifft. Ein Konzert mit großer Lautstärke, einigen musikalischen Böllern, voller Effekte (ziemlich plakativer und nicht allzu raffinierter), nicht durchgehend differenziert und sehr rasant. Es wird nicht als eines der besten in die Annalen eingehen.

Schon der Beginn, Franz Lehárs "Nechledil Marsch", wurde so wuchtig musiziert, als ginge es darum, die p. t. Zuhörer aus einer möglichen Depression, die das vergangene Jahr gebracht hatte, zu reißen. Ein Marsch wie ein Weckruf, passend in unsere Zeit, in der das Grelle besser gesehen und das Laute leichter wahrgenommen wird.

35-Jähriger dirigierte Wiener Philharmoniker

Bei der letzten Zugabe, dem "Radetzkymarsch" von Johann Strauß Vater, dirigierte Dudamel das Publikum so leidenschaftlich wie wenige vor ihm und animierte es mehrfach, lauter zu paschen. Auch das ein bezeichnendes Bild für die Prioritäten – und man erinnerte sich sehnsüchtig an Daniel Barenboim, der das Dirigat dieses Stückes verweigert hatte und stattdessen, ein gutes neues Jahr wünschend, durch die Musikerreihen gegangen war.

Zwischen diesen Eckpfeilern gab es zahlreiche Raritäten (insgesamt sieben Werke, die erstmals bei diesem Anlass aufgeführt wurden) und einige (Wieder)-Entdeckungen. Josef Straußens Polka mazur "Die Nasswaldlerin" etwa, dieses hinreißende Stück Wienertum, das zwischen Heurigen- und Kaffeehausmusik changiert, ist so grandios, dass man es ab sofort am liebsten alljährlich hören würde.

Wunderschön auch der "Mondaufgang" aus der Otto-Nicolai-Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" (bei dem auch der Wiener Singverein zum Einsatz kam) – dieses farbenprächtig musizierte Stück, ein Klangwunder, würdigte den Gründervater anlässlich des 175. Geburtstages des Orchesters, der 2017 begangen wird. Auch der Walzer "Tausend und eine Nacht" von Johann Strauß wurde zu einem Höhepunkt des anspruchsvollen Programmes, das weniger bekannte Werke und Hits als zuletzt vereinte.

Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT 2017
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT 2017
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT 2017
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT 2017
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT VORAUFFÜHRUNG
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

NEUJAHRSKONZERT VORAUFFÜHRUNG: GROSSBAUER / FISCHE
Neujahrskonzert: Fortissimo in die neuen Zeiten

Italian Conductor Riccardo Muti waits before the s

Ehrfürchtig

Insgesamt wurde man jedoch den Eindruck nicht los, dass sich Dudamel diesem Großereignis geradezu ehrfürchtig näherte und das Konzert zu wenig zu dem seinen machte. Die schnellen Passagen liegen ihm, bei dem ein Forte zumeist ein Fortissimo ist, am besten. Bei den Walzern wie dem "Donauwalzer", wo Strukturierung, Interpretation, Rubato-Kultur etc. gefragt sind, ließ er als Gestalter vieles vermissen. Das fabelhafte Orchester unter der Führung von Konzertmeister Rainer Honeck, fesch in den neuen Cuts der ehemaligen Punk-Mode-Lady Vivienne Westwood, ließ ihn aber nicht im Stich.

Der Applaus war, dem Anlass gemäß, enorm. Wenn Dudamel in fünf, zehn, 15 Jahren wiederkommt, wird er ihn sich bestimmt vollends verdient haben.

KURIER-Wertung:

Der italienische Maestro Riccardo Muti wird 2018 das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigieren. Die Entscheidung bezeichnete Philharmoniker-Vorstand Andreas Großbauer gegenüber der APA als Zeichen "tiefer künstlerischer Verbundenheit".

Muti, 1941 in Neapel geboren, dirigierte das Orchester bereits in rund 500 Konzerten, viermal bestritt er bereits das Neujahrskonzert (in den Jahren 1993, 1997, 2000 und 2004). Er schließt damit zu Zubin Mehta auf, der fünfmal engagiert wurde, und zählt zu den meistbeschäftigten Neujahrs-Dirigenten seit der Ära Lorin Maazel. Muti, gerne als "Vulkan am Pult" bezeichnet, debütierte 1971 mit Donizettis "Don Pasquale" bei den Salzburger Festspielen, 2007 bis 2011 war er künstlerischer Leiter der Pfingstfestspiele, 1973 dirigierte er erstmals an der Staatsoper.

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Stardirigent Riccardo Muti sieht sich als Diener des Komponisten

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