"Neue Software" für die Staatsoper

Jordan wird in der ersten Saison zwei bis drei Premieren dirigieren
Dirigent Philippe Jordan über seine Top-Premiere in Paris mit Kaufmann und Garanča, Ideen für das Haus am Ring und die Kritik an den Wiener Symphonikern.

An der Pariser Opéra Bastille findet an diesem Dienstag die wohl attraktivste Opernpremiere dieses Herbstes statt: Giuseppe Verdis "Don Carlos" in der französischen Fassung – falls nicht der nationale Streik gegen die Arbeitsmarkt-Reformen von Emmanuel Macron eine Aufführung verhindert oder nur eine konzertante zulässt.

Jonas Kaufmann singt zum ersten Mal die Titelrolle auf französisch, Sonya Yoncheva debütiert als Elisabeth, Elina Garanča ist erstmals als Eboli zu hören. Krzysztof Warlikowski, einer der aufregendsten Regisseure unserer Zeit, inszeniert. Am Pult steht Philippe Jordan, Musikchef der Pariser Oper und designierter Musikdirektor der Wiener Staatsoper ab 2020.

Jordan hat dieser Tage ein intensives Programm zu absolvieren. Er dirigierte vergangenen Freitag zum letzten Mal in Paris Debussys "Pelléas et Mélisande" in der Inszenierung von Robert Wilson. Am Sonntag folgte Mozarts "Così fan tutte" in der Regie und Choreografie von Anne Teresa De Keersmaker, die jedem Sänger einen Tänzer als Double zur Seite stellt, der das Gesungene (und auch das Nicht-Gesungene, das ja bei "Così" besonders wichtig ist) optisch umsetzt – ein genialer Kunstgriff! Nun folgt am Dienstag "Don Carlos", ehe am Donnerstag mit dem Pariser Orchester ein Tschaikowskis-Schwerpunkt beginnt. Zwischen den Proben nimmt sich Jordan Zeit für dieses KURIER-Interview, in dem er bestens gelaunt auch Ideen für die Staatsoper skizziert.

KURIER: Einen "Don Carlos" in dieser Besetzung würden auch Opernliebhaber in Wien sehr gerne sehen. Wie wollen Sie es schaffen, dass ab 2020 solche Produktionen an der Staatsoper herauskommen?

Philippe Jordan: Wir haben in Paris das Glück, dass es mit Ilias Tzempetonidis einen idealen Castingdirektor gibt. Seit er von der Scala nach Paris gekommen ist, haben wir solche Besetzungen. Er hat über die Jahre eine Vertrauensbasis zu den besten Sängern aufgebaut und entwickelt gemeinsam mit ihnen solche Projekte. Wir haben Jonas Kaufmann schon vor Jahren gefragt, was ihn dazu verführen könnte, dass er künftig öfter in Paris singt. Seine Antwort war: das französische Repertoire. Deshalb haben wir für ihn "Damnation de Faust" gemacht, dann war sein erster "Hoffmann" geplant, den er leider absagen musste, nun kommt "Don Carlos" auf französisch. In Wien werden wir mit Direktor Bogdan Roščić alles daran setzen, dass wir auch immer wieder die besten Sängerinnen und Sänger haben.

Ihre Bestellung zum Musikdirektor wurde großteils euphorisch aufgenommen. Wie haben Sie das selbst empfunden?

Die Reaktionen waren sehr ermutigend. Wir sind in regelmäßigen Gesprächen mit dem neuen Orchestervorstand Daniel Froschauer, und ich habe das Gefühl, dass alle in die gleiche Richtung ziehen. Wien ist ja noch komplizierter als Paris, obwohl wir hier zwei Opernhäuser bespielen. Aber in Wien gibt es 300 Vorstellungen pro Saison, in Paris sind es etwa 180 Opernvorstellungen, dazu allerdings bis zu 180 Ballette. Mit rechtzeitiger Planung sollten wir aber alles gut hinbekommen. Wir haben eine gewaltige Chance an der Wiener Staatsoper und sehr gute Startbedingungen.

Wie viele Aufführungen pro Saison werden Sie in Wien insgesamt selbst dirigieren? Und wie viele Premieren?

Laut Vertrag sind es 30 bis 40 Aufführungen pro Spielzeit. Im ersten Jahr werden es etwas mehr als 30 sein, weil ich da noch in Paris engagiert bin und einen neuen "Ring des Nibelungen" zu Ende bringe. Danach werden es mehr sein. Premieren in Wien werde ich in der ersten Saison zwei bis drei dirigieren.

Gleich die Eröffnungspremiere?

Natürlich, das muss sein. Im September 2020 gibt es die erste Premiere in Wien, im Oktober dann die Premieren von "Siegfried" und "Götterdämmerung" in Paris. Mit zwei österreichischen Sängern: Martina Serafin singt erstmals die Brünnhilde, Andreas Schager ist unser Siegfried.

Die Wiener Staatsoper ist das letzte Haus der Welt, das jede Saison um die 50 verschiedenen Werke spielt. Ist dieses Repertoiresystem noch zeitgemäß?

Solange es funktioniert, soll es aus meiner Sicht gepflegt werden. Und Wien ist die einzige Stadt der Welt, in der das noch funktioniert. Aber auch das muss reformiert werden, damit es den Qualitätsansprüchen von heute genügt. Ich glaube ja nicht, dass die Traditionalisten nur alte Aufführungen sehen wollen. Es geht immer nur um gut oder schlecht. Wir müssen Neues wagen und spannendes Theater bringen.

Wissen Sie, was Oper 4.0 bedeutet?

Nein. Aber es geht wohl um eine neue Software, die Hardware ist ja da. Gemeint ist auf alle Fälle ein frischer Wind.

Sie haben in Paris zuletzt einen Erfolg mit der Wiederaufnahme von "Così" gefeiert. Die Mozart-Interpretation war zuletzt in Österreich oft eine große Baustelle. Wie wollen Sie das beheben?

Ich halte es mit Alfred Brendel, der gesagt hat, Mozart ist einfach das Allerschwierigste: Zu leicht für Kinder, zu schwierig für Erwachsene. Wir werden viel Kraft in die Mozart-Interpretation investieren, eine Linie hineinbringen, wie man das heute spielen kann, und am Klang feilen. Ohne alte Instrumente, aber im Wissen um die Aufführungsgeschichte. Grundsätzlich gibt es jedoch gerade bei Mozart keine endgültige Wahrheit.

In weniger als einer Woche wird in Österreich gewählt. Es ist gut möglich, dass es den Kulturminister, der Roščić bestellt hat, danach nicht mehr in dieser Funktion gibt. Wie sehen Sie die politische Entwicklung?

Jedes Volk hat immer die Politiker, die es gewählt hat. Warten wir einmal ab. Vielleicht gibt es einen neuen Kulturminister. Vielleicht gibt es aber vor unserem Amtsantritt 2020 schon wieder einen neuen.

Sie sind nach wie vor auch musikalischer Chef der Wiener Symphoniker. Wie kommentieren Sie den Rechnungshofbericht, der vergangene Woche mit vielen Kritikpunkten erschien?

Das ist nicht ganz mein Bereich, weil ich ja nicht für das Management zuständig bin. Aber ich kenne solche Berichte, auch von der Pariser Oper. Der Rechnungshof prüft die ökonomische Effizienz. Es ist nur unschön, dass es medial so ausgeschlachtet wurde, die Negativ-Schlagzeilen sind unnötig. Ich kann als Dirigent nur mit einem Beispiel antworten: Wenn wir einen Beethoven-Zyklus spielen, und das ist für die Wiener Symphoniker sehr wichtig. Dann ist es klar, dass die Tuba und die Harfe während dieser Probenphase ein bisschen spazieren gehen. Oder ein Triangelspieler wird wohl nicht so viele Dienste habe wie ein erster Geiger. Also ist manches vielleicht unwirtschaftlich, aber trotzdem künstlerisch wichtig. Für dieses Orchester, das immer noch der musikalische Grundversorger der Stadt ist, ist der Stellenplan absolut gerechtfertigt.

Werden Sie nach den Wiener Symphonikern, parallel zur Staatsoper, noch ein Konzertorchester übernehmen?

Ich werde die ersten vier Jahre, so wie ich es auch in Paris gemacht habe, sicher keine andere Chefposition übernehmen. Was danach kommt, kann ich noch nicht sagen.

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