Nestroy: Wenn vieles am Theater plemplem wirkt

"Vieles, was heute am Theater passiert, kommt mir ziemlich plemplem vor. Aber vielleicht bin ich plemplem - und alle anderen sind normal." Peter Turrini versteht die Theaterwelt nicht mehr. Bei der zwölften Nestroy-Preisverleihung am 14. November holt sich der junge Max Mayer überraschend die Auszeichnung als bester Darsteller. Das Burgtheater kann mit Sarah Viktoria Frick (Beste Schauspielerin), Andrea Breth (Beste Regie) und Udo Samel (Beste Nebenrolle) drei Auszeichnungen einheimsen. Für Aufsehen sorgen bei der Gala im Wiener Raimundtheater jedoch die Dankesreden von Peter Handke (Autorenpreis) und Peter Turrini (Lebenswerk-Preis), die mehr Respekt vor der Arbeit der Dramatiker einfordern und gegen "Textflächen und Roman-Dramatisierungen" bzw. gegen die "Hinein- und Umschreiberei" in ihre Stücke wettern.
Beim Nestroy 2011 gab es den Aufschrei der Autoren: Peter Turrini, der den Lebenswerk-Preis bekam, beklagte sich laut, Peter Handke etwas leiser.

Beinah wäre sie sang- und klanglos ins Land gezogen, die zwölfte Verleihung des Nestroypreises, die Montagabend im Wiener Raimundtheater über die Bühne ging. (Halb)-lustige Moderatoren (das launige Trio Rudi "Seyffenstein" Roubinek, Gregor Seberg und Katharina Strasser moderierte in der Dekoration des Musicals "Ich war noch niemals in New York"), brav auswendig gelernte Reden, artig dankende Preisträger.

Und dann. Gab es da zwei, eigentlich drei ältere Herren, die es dem versammelten Theatervolk so richtig rein sagten: Der mit dem Autorenpreis geehrte Peter Handke mit Laudator Luc Bondy. Sowie Peter Turrini, ausgezeichnet für sein Lebenswerk. Vor allem Letzterer nahm sich beim verbalen Rundumschlag kein Blatt vor den Mund.

Eine Erregung

Nestroy: Wenn vieles am Theater plemplem wirkt

Die Sturmböe der Empörung, die er entfachte, fing als laues Lüftchen an. Wiener-Festwochen-Chef Bondy lobte Handke für dessen Partisanen-Drama "Immer noch Sturm". Es sei eines der "Stücke, die man leider nicht mehr hat. Heute ist alles Montage. So aus einem Guss heraus gibt's ja nichts mehr."
Handkes Dank dafür: "Es ist sehr wichtig, dass man ein Stück auszeichnet und keine Textfläche, wie das heute üblich ist am Theater." Und weiter: "Ich würde mir wünschen, dass das Theater sich mehr auf geschriebene Stücke konzentriert und nicht auf das Drumherum."

Dass nur wenig später Textflächenexpertin Elfriede Jelinek eine von ihr verfasste Laudatio auf den zweiten zu würdigenden Dramatiker des Abend verlesen ließ, war da schon eine Art Treppenwitz.
Und Peter Turrini holte denn auch nach der diffizil-poetischen Vorlesung durch Burg-Star Kirsten Dene einmal tief Luft, bevor er loswetterte.

Gegen die "Hinein- und Umschreiberei", die Stücke heutzutage vor ihrer Aufführung verunstalte. Ein Ausbruch von Daniel-Kehlmann'schen Dimensionen (bei dessen Salzburger Festspielrede im Jahr 2009).
Ist doch Kacke! Nur, dass Turrini dem Kollegen punkto zu viel Schreierei am Theater widersprach:

"Wenn jeder am Theater, der einen Bleistift halbwegs fest in der Hand halten kann, in die Stücke hineindichtet, was ihm so einfällt, hineincollagiert, was ihm so gefällt, dann schreie auch ich auf. Vor allem deutschen Regisseuren muss ein böser Theatergeist eingeredet haben, ihre alltagssprachlichen Ausrufungen, wie ,Mensch, hör mal!' oder ,Ist doch Kacke!' würden sich neben klassischen Worten durchaus ebenbürtig ausnehmen."
Er habe selten so viele "im Gleichschritt bei ihrem Marsch auf die vermeintliche Höhe der Zeit" gesehen, so Turrini, der leidenschaftliche Goldoni-ins-Heute-Holer, der außerdem aufs Urheberrecht verwies: Noch sei nicht die ganze Welt vergoogelt.
Sein Fazit: Vieles, was heute am Theater passiert, "kommt mir ziemlich plemplem vor."

Überraschungen bei den Schauspiel-Preisen

Nestroy: Wenn vieles am Theater plemplem wirkt

Was sonst noch geschah: Sarah Viktoria Frick, unvergesslich als Beppi in "Stallerhof" von Franz Xaver Kroetz, war, weil in der Baby-Pause, nicht da, wurde aber als beste Schauspielerin geehrt.
Völlig überrascht zeigte sich Max Mayer vom Schauspielhaus, siegreich in der Kategorie "Bester Schauspieler", u. a. als Jäger namens Fischer in "Grillenparz" von Thomas Arzt.
Thomas Schulte-Michels wurde für sein Bühnenbild zu "Herr Puntila und sein Knecht Matti" am Volkstheater (Beste Ausstattung) gewürdigt.

Den Preis für Andrea Breth (Beste Regie), die ebenso wie Udo Samel (Beste Nebenrolle für seine Darstellungen des Narbonne in "Der Parasit" von Friedrich Schiller und des Dr. Pflugfelder in "Professor Bernardi" von Arthur Schnitzler am Burgtheater) in Düsseldorf probt, holte Roland Koch ab.
Beim Publikumspreis hat sich Eleonore Bürcher, die Doyenne des Schauspielensembles am Tiroler Landestheater, immerhin gegen Michael Maertens und Erwin Steinhauer durchgesetzt.
Beste Bundesländer-Aufführung war "Amerika" nach Franz Kafka vom Stadttheater Klagenfurt.
In der Kategorie der besten deutschsprachigen Aufführungen war Hauptmanns Klassiker "Die Weber" - Regie: Michael Thalheimer - vom Deutschen Theater Berlin siegreich. Das Stück aus dem 19. Jahrhundert sei auch in der Gegenwart von hoher politischer Aktualität, so die Jury.
Franz Wittenbrink gestand: "Ich habe mich durch alle Würstelsorten gegessen." Zur Vorbereitung auf den Liederabend "Eh wurscht" (Jury-Spezialpreis), der an einem Würstelstand spielt.

Die Trophäe für die beste Off-Produktion ging an "Ganymed Boarding", dotiert mit 30.000 € von der Stadt Wien. 16 Autoren von Elfriede Jelinek bis Peter Handke, von Juli Zeh bis Angelika Reitzer, schrieben Texte zu Gemälden im Kunsthistorischen Museum, das bei diesem Gipfeltreffen von Kunst, Literatur und Musik zum Schauplatz, Lust- und Streitobjekt wurde.

Die Preisträger: Der "Nestroy" ging an...

Sarah Viktoria Frick (Beste Schauspielerin) und Max Mayer, u. a. als Jäger namens Fischer in "Grillenparz" von Thomas Arzt (Bester Schauspieler); Andrea Breth (Beste Regie) für "Zwischenfälle", Akademietheater; Thomas Schulte-Michels , "Herr Puntila und sein Knecht Matti", Volkstheater (Beste Ausstattung); Peter Handke , "Immer noch Sturm" (Bestes Stück - Autorenpreis); "Ganymed Boarding" (Beste Off-Produktion); Udo Samel (Beste Nebenrolle); Franziska Hackl (Bester Nachwuchs); Franz Wittenbrink, "Eh wurscht", Josefstadt (Spezialpreis); " Amerika" , Stadttheater Klagenfurt (Beste Bundesländer-Aufführung); "Die Weber" , Deutsches Theater Berlin (Beste deutschsprachige Aufführung); Peter Turrini (Lebenswerk); Eleonore Bürcher (Publikumspreis).

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