NHM

Urzeit hautnah erleben

Wie wir wurden, was wir sind, erklärt das NHM ab sofort in der Schau "Mensch(en) werden"
Das Naturhistorische Museum Wien eröffnet seine neuen Anthropologie-Säle mit der Ausstellung "Mensch(en) werden".

Wie vermittelt man dem unbedarften Besucher, dass er sich in der Jungsteinzeit befindet und der Mensch eben den Ackerbau erfunden hat? Diese Frage stellte sich Maria Teschler-Nicola und beschloss, ein Getreidefeld in einer Vitrine auszustellen. Mit einer Kollegin rückte die Leiterin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) samt Schaufel und Krampen zu einem Feld im Waldviertel aus, um eigenhändig Getreidehalme auszugraben. Zurück im Museum musste sie feststellen, dass die 1,5 Meter hohen Halme unmöglich in die 50 cm hohe Vitrine passten. „Wir haben also 2000 Halme einzeln zurechtgeschnitten und eingepasst“, erzählt sie.

Zu sehen ist das Getreidefeld ab heute in den neu eröffneten Anthropologischen Sälen des NHM, die sich dem „Mensch(en) werden“ widmen. Die Anekdote über dieses Detail illustriert, wie viel Arbeit und Nachdenken in die Schau geflossen sind.

Urzeit hautnah erleben
Univ. Prof. Dr. Maria Teschler-Nicola
KURIER: Wenn ich die 580 m² der beiden neuen Anthropologie-Säle durchquert habe, wie viele Jahre Menschheitsgeschichte habe ich hinter mich gebracht?
Teschler-Nicola:
Ca. 20 Millionen. Für mich ist der wichtigste Zeitpunkt aber vor etwa sieben Millionen Jahren – derbeginn des wir die ersten aufrechten Ganges, der ja etwas typisch Menschliches ist.
Sie versuchen, den Besuchern das Thema auf vielfältige Weise näher zu bringen.
Ja, wir arbeiten mit Zeichnungen und Grafiken, Kopien von Fossilien, Weichteil-Rekonstruktionen sowie Jagdwaffen. In einer Vitrine zeigen wir einen ca. 7000 Jahre alten Schädel aus dem Neolithikum mit einer Trepanation (operative Öffnung des Schädels, Anmerkung). Der Mensch hat den Eingriff überlebt und ist ein gutes Beispiele für medizinische Fähigkeiten in der Steinzeit. Um das Thema Wundversorgung anschaulich zu machen, habe ich mir beim Museum in Krapina (Koration) einen Film organisiert, der zeigt, wie einer unserer Vorfahren von einem Bären angefallen wird und ohne Unterarm überlebt. Wir zeigen auch, ein Video über die österreichischen Ausgrabungen in Äthiopien, als ein Vormenschenzahn gefunden wurde.
Sie bemühen sich, das Leben damals darzustellen?
Wir haben versucht, die Technik zu zeigen, wie man Feuer macht, Werkzeuge herstellt, wie die Jagd abgelaufen sein könnte. Wir versuchen aber auch zu vermitteln, wie die Anthropologie arbeitet und zu ihren Erkenntnissen kommt. Das ist ja die Herausforderung, aus wenigen Knochen, eine Geschichte zu rekonstruieren.
Auch neueste Forschungsergebnisse sollen Platz in den neuen Sälen finden?
Ja, wir haben eine Station „What’s hot in Anthropology?“ – gleich im Eingangsbereich. Da kommt das hin, was z.B. im Wissenschaftsmagazin Nature publiziert wird – neue Fossilien, neue DNA-Analysen, neue Arten.
Es gibt einen Österreich-Schwerpunkt?
Ja, damit wir uns von anderen Hominiden-Ausstellungen unterscheiden. Wir zeigen neue Funde aus Willendorf, und natürlich eine Kopie der Zwillinge vom Wachtberg in Krems, die 2005 geschützt vom Schulterblatt eines Mammuts entdeckt wurden.
Es ist nicht selbstverständlich hier im Haus eine Hominoiden-Ausstellung zu haben. Vor 16 Jahren mussten die als Rassensäle bekannt gewordenen Räume schließen.
Ja, die Anthropologie hat eine schlimme Geschichte, die in die Praktiken der NS-Zeit mündete. Seit dem Beginn der 1990er Jahre ist der Rassensaal aus 1978 vermehrt im Brennpunkt nationaler und internationaler Kritik gestanden – zu recht übrigens. Wenn man es genau nimmt, war die Ausstellung bereits 1978 in der Präsentation und Diktion veraltert. 1997 war es hoch an der Zeit, die Rassensäle zu entfernen.
Impressionen der Ausstellung

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