Nach der Revolution: Tunesier sind hungrig auf Theater

Nach der Revolution: Tunesier sind hungrig auf Theater
Die Wiener Theaterproduktion "dominant powers. was also tun?" war im Jänner in Tunis eingeladen. Euphorie und Straßenkämpfe inklusive.

Im Jänner wurde das in Wien sitzende theatercombinat unter der Leitung von Regisseurin Claudia Bosse mit der aktuellen Produktion "dominant powers. was also tun?" zu dem internationalen Theaterfestival  Journées théâtrales de Carthage nach Tunesien eingeladen. KURIER.at-Redakteurin Stella Reinhold durfte die Truppe nach Tunis begleiten.

Eine Theaterinstallation, die die Umbrüche in Nordafrika zum Thema hat, wurde an den Ausgangsort der Revolution zurückgeholt. Spannend ist auch, dass  es sich um eine der ersten internationalen Produktionen handelte, die nach der tunesischen Revolution dort gezeigt wurden und damit auch eines der ersten Stücke, das nicht erst der Zensur des Kulturministeriums unterzogen wurde. Etwas, das unter dem vor gerade mal einem Jahr gestürzten Präsidenten Ben Ali gang und gäbe war.

Völlig ausverkauft

Zwei völlig ausverkaufte Vorstellungen hat es gegeben. Die Zahl der zugelassenen Personen wurde im letzten Moment noch erhöht, weil es Schlägereien gab, um noch Karten für das Stück zu ergattern. Einige sind auch einfach über den Zaun geklettert. "So etwas sieht man hier sonst nicht", so einer der Zuseher. Eine derartige Gier nach zeitgenössischem Theater kann man sich hierzulande nur wünschen. Aber auch in Tunis herrschen die unumstößlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage. Wo Seltenheitswert, da Begeisterung.

"dominant powers. was also tun?" ist eine komplexe Rauminstallation, in der drei Schauspielerinnen, ein Chor, diverse Medienfragmente und Texte von der Antike bis heute, von Seneca bis Bachmann, von Gilles Deleuze bis Heiner Müller, von Heinrich Heine bis Richard Wagner, aufeinandertreffen. Für Tunis wurde in nur zwei Wochen eine französisch-englische Version mitsamt einem 15-köpfigen Chor aus tunesischen Studenten erarbeitet.

Die Suche nach der eigenen Realität

Eine der Darstellerinnen ist von Kopf bis Fuß in Mullbinde gewickelt, Vergleiche mit dem zum Revolutionsheld erklärten Mohamed Bouazizi, der mit seiner Selbstverbrennung die Proteste in Tunesien auslöste, und dessen letzte Bilder aus dem Spital um die Welt gingen, sind naheliegend. Die anderen Darstellerinnen tragen traditionelle islamische Abayas (ein meist schwarzes, mantelartiges Übergewand, das der Verhüllung dient). Zum Schluss wird sich eine von ihnen dieses Gewand vom Leib reißen und in weißer Strumpfhose, schwarzer Unterwäsche und recht anzüglichen Bewegungen Montaigne rezitieren. Aus einem Lautsprecher kommen die Gerichtsprotokolle von Roman Polanski.

Der Chor, die Stimmes des Volkes, spricht über seine Erinnerungen an die Revolution, wie seine Vorstellungen, einer perfekten Gesellschaft aussähen und fordert lautstark "Gaddafi now, has to die". Dazu werden Fernsehausschnitte, Original-Sounds vom Tahrir-Platz und Musik übereinander gelagert und sorgen für eine ganz bewusste Überforderung. Die Rauminstallation zieht sich von einer ehemaligen Kirche über den Vorplatz, bis hin zu diversen Klassen- und Übungsräumen und Gängen.

Gespielt wurde am Institut Supérieur d' Art Dramatique, der Hochschule für Dramatische Kunst. Dem Zuschauer wurde hier zugetraut sich seine eigene Realität zu suchen. Die Reaktionen der Zuschauer waren durch die Bank positiv. Sie sprachen von einer für sie gänzlich neuen Form des Theaters und glauben an deren Zukunft. Auch in Tunesien. Über Politik wird hier sonst lieber unter vier Augen gesprochen.

Was von der Revolution übrig blieb

Das Hotel, in dem das theatercombinat untergebracht wurde, war mit Stacheldraht umzäunt und vorfahren durfte man auch nur mit ausdrücklicher Genehmigung; was jedoch nicht an der Theatertruppe lag. Stacheldraht war das erste, was einem bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt auffiel, was das friedliche Bild aus Meer und Palmen schon von Beginn an irritierte. Historische Gebäude und Denkmäler sollen so vor den zahlreichen Demonstrationen geschützt werden, erklärte ein Einheimischer. Und Demos gibt es nach wie vor viele. Mal für die Wiedereinführung des Kopftuches an der Uni, mal gegen die Männer Ben Alis, die immer noch im Innenministerium sitzen, das zur Sicherheit auch mit Stacheldraht umzäunt wurde.

Was ist in einem Land los, in dem der Verteidigungsminister vor dem eigenen Volk verteidigt werden muss? Die Revolution ist gescheitert, erklären Studenten. Jene, die vor einem Jahr auf die Straße gegangen sind und die Revolution ausgerufen haben, seien nicht dieselben, die im Oktober die islamistische Partei En-Nahda gewählt haben. "Wir brauchen eine zweite Revolution", sind sie sich einig, denn wirklich verändert hat sich bisher anscheinend wenig.

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