Wie das Leben nach dem Tod klingen könnte

Klaus Maria Brandauer bei seinem Debüt im Royal Opera House Covent Garden: 30-minütiger Monolog.
Georg Friedrich Haas sorgt in London für einen Triumph. Protagonist: Klaus Maria Brandauer.

Wenn ein österreichischer Komponist und Staatspreisträger an einem renommierten Haus ein neues Werk präsentiert; wenn einer der wichtigsten österreichischen Schauspieler darin in einer zentralen Sprechrolle zu erleben ist; wenn ob dieser Konstellation der Fokus der weltweiten Opernszene auf diese Premiere gerichtet ist, dann sind wir … leider nicht in Wien, sondern in London.

Am Royal Opera House Covent Garden wurde am Freitag "Morgen und Abend" von Georg Friedrich Haas uraufgeführt. Das Libretto stammt vom norwegischen Autor Jon Fosse und basiert auf dessen gleichnamigem Roman aus dem Jahr 2000.

Die Geschichte besteht aus zwei Teilen: Im ersten erlebt ein Vater (Olai, gespielt von Klaus Maria Brandauer) die Geburt seines Sohnes (Johannes). Im zweiten begegnet Johannes eines Morgens seiner Frau und seinem besten Freund, die schon lange tot sind, und muss erkennen, dass er selbst gestorben ist. Eine packende Geschichte in der Tradition von "Orpheus und Eurydike", vielleicht mit zu vielen Wörtern und dadurch leicht redundant.

Reife

Aber wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen Haas und Fosse? "Das reicht ins Jahr 2004 oder 2005 zurück", erinnert sich Haas im KURIER-Interview. "Hans Landesmann (mittlerweile verstorbener Musikmanager, Anm.) kam zu mir und sagte, er hätte zwei Wünsche: eine Oper von Fosse und mir; und dass er das noch erlebe." Er erlebte es. 2008 kam in Paris "Melancholia" in dieser Kombination auf die Bühne. "Noch am Abend der Premiere schlug mir Fosse eine weitere Zusammenarbeit vor: nach seinem neuen Buch ,Morgen und Abend‘", erzählt Haas. "Ich kannte es nicht und hatte mir ein Beziehungsdrama erwartet. Ich war sofort begeistert, es hat aber noch sieben Jahre gedauert, bis ich die nötige Reife dafür hatte."

Das Ergebnis ist fantastisch. Haas schafft atemberaubende Klangwelten, anstelle von Melodien gibt es atmosphärische Gebilde, transzendentale Assoziationen und durchaus sakrale Chöre. Er führt durch den hellen Tunnel ins Schattenreich – der Übergang gestaltet sich fast versöhnlich. Wenn das Leben (oder was auch immer) nach dem Tod so klingt, verliert dieser an Schrecken.

Boot

Es beginnt mit einem ohrenbetäubenden Trommelwirbel – am Ende dann, bei den enorm hohen, schrillen Frequenzen müssen die Musiker sogar Ohrenschützer tragen. Dazwischen nützt Haas das Instrumentarium raffiniert aus, durchaus harmonisch, höchst dramatisch, stets sensibel. Das Orchester unter Michael Boder spielt das komplexe Werk präzise und klanglich ausbalanciert.

Das Bühnenbild in Grautönen ist aufs Minimum (Stühle, Bett, Tür, Boot) reduziert, die Inszenierung von Graham Vick setzt auf Stilisierung statt auf Effekte und atmet im Tempo der Musik.

Sämtliche Sänger – Christoph Pohl als Johannes, Helena Rasker als seine Frau, Sarah Wegener als seine Tochter, Will Hartmann als sein Freund Peter – sind stimmlich und darstellerisch überzeugend, sie singen auf Deutsch.

Klaus Maria Brandauer hingegen spricht (sein eigenes) Englisch, hat in seinem 30-minütigen Monolog mit Orchester starke Präsenz, wirkt aber recht statisch.

Wie das Leben nach dem Tod klingen könnte
Royal Opera House Covent Garden. honorarfrei.

Ideale Bedingungen

"Morgen und Abend" ist die 7. Oper von Haas, der auch bekannt für mikrotonale Musik (Auslotung aller Möglichkeiten innerhalb der bekannten Tonintervalle) ist. Wie war nun die Arbeit mit diesem klassischen Orchester? "Glauben Sie wirklich, ich kann nicht anders? Ich bin glücklich, für diese wunderbaren Musiker komponieren zu können. Und ich will ihnen nicht zumuten, sich drei Viertel der Zeit mit Intonationsfragen zu beschäftigen."

Warum bringt er dieses Werk in London heraus (danach übersiedelt es als Koproduktion an die Deutsche Oper Berlin) und nicht etwa in Wien? "Das ist eine kulturpolitische Frage. Ich kann nur sagen: In London hatten wir ideale Bedingungen, Intendant Kasper Holten stand zu 100 Prozent dahinter. Es ist eine Produktion wie jede andere an diesem Haus. Diese Bedingungen würde mir kein Theater in Österreich geben. In London bin ich Bestandteil des normalen Repertoires. In Österreich bin ich ein geduldeter Außenseiter." Seine Werke würden da bei speziellen Festivals gespielt, nicht aber im klassischen Betrieb.

Kasper Holten geht da einen anderen Weg: "Wir bringen in den kommenden fünf Jahren acht Neukompositionen heraus. Gerade in schwierigen Zeiten muss man mutig programmieren."

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