"Moonlight": Vom geprügelten Schüler zum muskelbepackten Gangsta

Jharrel Jerome (li.) und Ashton Sanders in „Moonlight“
Barry Jenkins erhielt für sein Miami-Drama über einen schwulen Buben drei Oscars.

Das Erscheinen von "Moonlight" fällt mit dem Ende der Obama-Ära zusammen: Es liefert eine afro-amerikanische, schwule Perspektive auf ein Amerika, das ab jetzt wieder groß werden will. In "Moonlight" ist von Größe allerdings nicht viel zu sehen, sondern vielmehr von Drogen, miesen sozialen Verhältnissen und einer vorgezeichneten Karriere im Ghetto.

Barry Jenkins, Regisseur seines erst zweiten Langfilms, adaptierte das autobiografische Theaterstück von Tarell Alvin McCraney "In Moonlight Black Boys Look Blue" mit dessen Hilfe zum Drehbuch von "Moonlight"; dafür wurde er mit drei Oscars belohnt, darunter – nach fataler Zettelverwechslung – für bester Film.

Was das Besondere an "Moonlight" ist? Dessen radikale Intimität. Die Coming-of-Age-Geschichte eines schwarzen Buben aus Miami, der unter seiner Crackhead-Mutter leidet, seine Homosexualität entdeckt und dafür von seiner Macho-Umgebung gemobbt wird, klingt vielleicht auf den ersten Blick etwas vorgestanzt. Und riecht auch ein bisschen nach tranigem Sozialdrama.

Doch Jenkins überhöht Plot-Plattitüden zu magischen Tableaus, taucht sie in glühende Pastellfarben und betupft sie mit klassischer Musik immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Der poetische Effekt ist beispiellos und stellt zu den Protagonisten eine größtmögliche Innigkeit her.

"Was ist eine Schwuchtel?", will der kleine Chiron von seinem neuen Freund und Beschützer Juan wissen. Juan ist peinlich betreten. Auch die nächste Frage kommt ihm ungelegen: "Verkaufst du Drogen?"

Der Drogendealer als väterlicher Freund könnte schnell zum romantischen Klischee verkommen, doch Mahershala Ali versetzt sie mit der nötigen Dignität und erhielt dafür Oscar-Lohn. Auch Naomie Harris als Junkie-Mutter muss all ihre Verve aufbringen, um einer recht einzeiligen Rolle zum Mehrklang zu verhelfen.

Triptychon

Der interessanteste Aspekt der Geschichte aber ist deren Triptychon-Struktur. Chirons Erfahrungen als Kind, Jugendlicher und Erwachsener erzählt Jenkins in drei Kapiteln, die jeweils ein anderer Schauspieler verkörpert. Diese Rollenumbesetzung verstärkt das Subjektive der Figur und die schlaglichtartige Erzählweise, die sich auf formierende Lebensmomente konzentriert. Im mittleren Teil erreicht Jenkins einen erzählerischen Höhepunkt an Verletzlichkeit, wenn er Chiron bei seiner ersten sexuellen Begegnung belauscht.

Im letzten Drittel holt Chiron dann zur Gegenoffensive aus. Aus dem dünnen Jugendlichen wird ein muskelschwerer Mann, klassische Musik verwandelt sich in GangstaRap. Chiron trifft seine erste und einzige Liebe wieder – eine Begegnung, die Jenkins in Echtzeit erzählt, als fiebrigen Aufschub des Begehrens.

INFO: USA 2016. Von Barry Jenkins. Mit Mahershala Ali, Alex Hibbert, Trevante Rhodes.

KURIER-Wertung:

Kong is King. Das wissen wir längst aus unzähligen Kinobesuchen, in denen der berühmte Riesenaffe Bäume entwurzelte und weiße Frauen auf seinen Handflächen trug. Auch "Kong: Skull Island" schöpft aus dem Monster-Universum, seit 1933 mit "King Kong" klassische Vorlage für zahlreiche Neuverfilmungen. Dass "Kong" mit 190 Millionen Dollar ein sündteurer Blockbuster mit chinesischer Produktionsbeteilung ist und für den asiatischen Raum geeignet sein muss, lässt sich unschwer an der Besetzung ablesen: In der Gruppe eifriger Wissenschaftler auf der Suche nach Monstern befindet sich auch die chinesische Schauspielerin Jing Tian. Sie darf in zwei Filmstunden gefühlte zweieinhalb Sätze sprechen.

Immerhin hat sich Regisseur Jordan Vogt-Roberts alle Mühe gegeben, der Wiederkehr des immergleichen Filmstoffs einen Touch von Originalität zu verpassen. Ein bestens besetztes Ensemble aus der A-Liga Hollywoods – darunter Samuel L. Jackson, Tom Hiddleston, Brie Larson, Tom C. Reilly – arbeitet sich gut gelaunt durch ein Dschungelabenteuer und schlägt sich mit sehr gruseligen Spezialeffekten herum. Kong selbst ist ein wunderbarer Riesenaffe mit traurigen Augen, vor dessen melancholischem Antlitz die Menschen gerade mal die Größe seiner Nasenlöcher erreichen. Widerwärtige Riesenechsen, die Tötenköpfe kotzen und mit mehrfach gespaltenen Zungen fauchen, sind Kongs würdige Gegner. Ganz zu schweigen von den langbeinigen Riesenspinnen: Deren meterhohe Haxen bohren sich durch offene Menschenmünder, bevor sie noch bis drei zählen können.

Kurzum: Die CGI-Effekte sind umwerfend und in ihrem Monsterrealismus atemberaubend unterhaltsam. Auch das Jahr 1973, in dem Vogt-Roberts sein Affenabenteuer ansiedelt, inspirierte ihn zu zahlreichen popkulturellen Anspielungen – "Apocalypse Now" lässt grüßen, Seventies-Popsongs jubilieren auf der Tonspur. Und natürlich räumt der Regisseur seine Bilder mit coolem analogen Schnickschnack voll – mit Schallplatten, Tonbändern und alten Arriflex-Kameras. Sieht ziemlich gut aus.

INFO: USA 2016. 118 Min. Von Jordan Vogt-Roberts. Mit Tom Hiddleston, Brie Larson.

KURIER-Wertung:

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 Der Riesenaffe hat immer Saison: Neuauflage „Kong: Skull Island“

Es gibt verschiedene Formen, Frauen abzuwerten und sie zu entmündigen. Eine besonders subtile Form ist es, eine Frau so zu verherrlichen, sie so "in den Himmel zu heben", dass sie hinter der männlichen Wunschfantasie verschwindet.

Adolf Loos, viel gerühmter Architekt der Moderne um 1900, beherrschte diese Kunst – wie die Briefe an seine Ehefrau Lina bezeugen – besonders gut. Umso erfreulicher, wenn nun ein Film Lina aus Adolfs Schatten holt.

Sie wurde von Peter Altenberg angedichtet, von Joseph Roth mit einem Buch beschenkt, sie konnte mit Egon Friedell und Franz Theodor Csokor über Literatur parlieren und mit Vicki Baum die "Menschen im Hotel" ausrichten: Die Schauspielschülerin Lina, geborene Obertimpfler, Tochter eines Kaffeehausbesitzers in der Mariahilfer Straße im Wien des Fin de Siècle. Die Begegnung mit ihrem ersten und einzigen Mann Adolf Loos verlief ungewöhnlich und bezeichnend sowohl für die Extravaganz des damals umstrittenen Architekten als auch für die Spontaneität der jungen Schauspielerin. Sie gipfelte in einem Heiratsantrag des um 12 Jahre Älteren an die knapp 19-Jährige. Die Ehe verlief unglücklich und endete bereits zwei Jahre später mit einem von Arthur Schnitzler literarisch verarbeiteten Gesellschaftsskandal. Wie die geborene Lina Obertimpfler zu Lina Loos geworden ist, will nun der österreichische Film "Lina" erzählen. Schade ist nur, dass der Film nur mit einem allzu kleinen Budget und in nur 14 Tagen gedreht werden konnte, was in etlichen Szenen schmerzlich sichtbar wird. Sehenswert ist der Film trotzdem – aufgrund seines Themas.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: Österreich 2016. 94 Min. Von Walter Wehmeyer. Mit Sarah Born, Johannes Schüchner.

KURIER-Wertung:

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Sara Born in einer Low-Budget-Bio über Lina Loos

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