Weltbeste Lulu singt ihre Rolle zum letzten Mal

Marlis Petersen (im Bild mit Johan Reuter) singt zum letzten Mal Lulu
Grandiose MET-Opernproduktion von Regisseur William Kentridge mit Sopranistin Marlis Petersen.

aus NEW YORK

Die New Yorker Metropolitan Opera setzt künstlerisch wieder Maßstäbe: Mit einer weltweit beachteten Produktion von Alban Bergs "Lulu" mit Marlis Petersen in der Titelrolle und in der Regie des südafrikanischen Starkünstlers William Kentridge.

Dieser hatte seine Sicht auf Lulu zunächst für Amsterdam entwickelt. Nun, in New York, ist die Inszenierung um einiges besser, dichter, noch überzeugender (siehe Kritik unten). "Wir hatten sechs Wochen lang Zeit für Proben", sagt Kentridge zum KURIER. "Da kann man vieles weiterentwickeln." Das New Yorker Opernpublikum liebt Kentridge seit seiner Inszenierung von Schostakowitschs "Die Nase". Und MET-Direktor Peter Gelb setzt auch künftig auf Kentridge als Regisseur.

An der Fassade der MET hängt eine riesige "Lulu"-Studie des Künstlers. Ein paar Meilen entfernt, in der Marian-Goodman-Gallery, zeigt Kentridge Zeichnungen, auf denen seine "Lulu"-Inszenierung basiert. Und eine Stunde entfernt, in New Haven, hatte am Tag nach der ersten MET-Aufführung sein Stück "Refusal of Time", das auch schon bei ImPulsTanz bejubelt worden war, Premiere. Kentridge-Festspiele also in und um New York.

Sängerin des Jahres

In Amsterdam hatte noch Mojca Erdmann die Lulu gesungen, nun ist die Inszenierung auch dank Marlis Petersen zu einem Meilenstein geworden. Petersen wurde soeben, bereits zum dritten Mal, von der Opernwelt, zur Sängerin des Jahres gewählt – für ihre Darstellung der Lulu in München. Beim KURIER-Interview in New York bestätigt sie jedoch: Sie singt nun die Lulu zum letzten Mal. "Ich war in zehn ,Lulu‘-Produktionen dabei, habe diese Rolle über 18 Jahre hinweg gesungen. Jetzt ist Schluss damit."

Warum, gilt sie doch als weltbeste Interpretin dieser Partie? "Diese Rolle bestimmt die Gangart meines Lebens. Viele Themen dieses Stückes stecken in mir drinnen, können nicht heraus: In mir als Mensch, als Frau, als Sängerin. Jetzt muss ich aussteigen, die Lulu loslassen."

Bei der "Lulu"-Premiere im Mai in München (Regie: Dmitri Tcherniakov) hatte sie sich die Nase gebrochen. "Ich bin mit Vollkaracho gegen eine Scheibe gerannt. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich weggetreten. Ich habe heftig geblutet, dann haben Dirigent Kirill Petrenko und ich einander kurz prüfend in die Augen gesehen und wussten: Es geht weiter, Aufhören ist keine Option." Bei der Premierenfeier sang sie dann noch bis vier Uhr Früh Jazz. "Am nächsten Morgen sah ich aus, als hätte ich gegen Klitschko gekämpft."

Offene Türen

Als sich Petersen entschied, die Lulu loszulassen, kamen "innerhalb von zwei Tagen schöne Angebote für neue Rollen. Wenn man eine Tür zumacht, öffnen sich neue."

Eine wird zu Salome führen, die sie in vier Jahren erstmals singen wird. Im Theater an der Wien wird sie schon 2016 als Gertrude in der Uraufführung einer "Hamlet"-Oper von Anno Schreier zu erleben sein. An der Staatsoper singt sie demnächst ihre erste Manon von Massenet.

Petersen ist überzeugt davon, dass Opernproduktionen Relevanz für unsere Zeit brauchen und Raum für Fantasie. "Heute ist vieles zu konkret." Was die Zukunft des Genres betrifft, wünscht sie sich die Verbindung unterschiedlicher Künste, also eine stärkere Einbindung von großen Filmemachern und Künstlern wie Kentridge.

Für Marlis Petersen, die in der Kombination aus Intensität, Ausdrucks- und Verführungskraft sowie stimmlicher Präsenz und Sicherheit bei ihrer letzten " Lulu "-Produktion noch einmal Singuläres schafft.

"Toulouse-Lautrec"

Und für William Kentridge, der seine Inszenierung zu einem eigenständigen, jedoch stets im Dienste der Oper stehenden Kunstwerk macht. Die filmischen Sequenzen, die animierten Bilder, die Assoziationsketten sind höchst musikalisch und faszinierend. "Hier sieht man, was mit einem Toulouse-Lautrec von heute im Musiktheater möglich ist", schwärmte auch Ex-Opernchef Ioan Holender, der in New York für ServusTV eine MET-Doku drehte.

Die Regie von Kentridge zwängt die Figuren aber nicht in einen (Bilder)-Rahmen, sondern lässt ihnen auch Raum zur Entfaltung. Franz Grundheber als Schigolch, Martin Winkler als Tierbändiger und Akrobat sowie Susan Graham als Geschwitz nützen diesen famos. Daniel Brenna ist ein kraftvoller, aber eindimensionaler Alwa, Johan Reuter ein nicht sehr markanter Dr. Schön.

Das Dirigat von Lothar Koenigs (ursprünglich war James Levine vorgesehen) am Pult des fabelhaften Orchesters kann mit der inszenatorischen Kraft nicht mithalten. Die "Lulu"-Aufführung am 21. November wird weltweit in Kinos übertragen.

KURIER-Wertung:

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