Meryl Streep über ihre härteste Rolle

Mit der Rolle als krebskranke Violet Weston in dem Film "Im August in Osage County" (Kinostart am 6. März) hat Meryl Streep ihre 18. Oscar-Nominierung eingefahren.

kurier.tv: Frau Streep, ist eine Oscar-Verleihung überhaupt noch etwas Aufregendes für Sie?
Meryl Streep: Und wie! Jede Nominierung ist immer wieder wie eine emotionale Berg- und Talfahrt. Ich kann es jedes Mal aufs Neue nicht glauben und bin dann schon Tage vor der Oscar-Nacht aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten. Es ist wirklich eine ganz besondere Ehre, für einen Oscar nominiert zu werden. Ich freue mich so sehr darüber, denn es zeigt mir, dass meine Arbeit geschätzt wird.

Sie haben bereits drei Oscars gewonnen – zuletzt 2011 für Ihr Porträt von Margaret Thatcher in "Die Eiserne Lady." Wo stehen die Trophäen?

In unserem Wohnzimmer, da haben sie einen Ehrenplatz. Immer wenn ich sie ansehe, versetzt mich das in eine Art Zeitreise meiner Karriere. Ich bin seit über 30 Jahren im Geschäft und habe mehr als 70 Filme auf dem Buckel. Oft steckte wirklich harte Arbeit dahinter.

In Hollywood nennt man Sie ehrenvoll "Die Größte." Was haben Sie, was andere Schauspielerinnen nicht haben?

Das frage ich mich auch oft. Ich sehe mich nicht als etwas Besonderes und ich will kein Mensch 1. Klasse sein. Und perfekt bin ich schon gar nicht. Da wird mir sicherlich etwas zu viel Ehre zu Teil, wenn die Leute mich so betiteln. Es gibt eine ganze Menge sehr, sehr guter Schauspielerinnen, die mich mit ihrer Arbeit in Grund und Boden spielen, aber einfach nicht genug Beachtung finden in den Medien.

Ich habe Selbstzweifel wie jeder andere Mensch auch. Oftmals finde ich meine Leistungen gar nicht toll und gehe hart mit mir selbst ins Gericht. Und bei Dreharbeiten vergesse ich immer wieder einmal meinen Text. Ich bin auch nach all den Jahren in diesem Geschäft noch immer furchtbar nervös am Set. Ich bereite mich zwar sehr intensiv auf jede Rolle vor, aber unterschwellig ist da immer die Angst zu versagen oder nicht gut genug zu sein. Ich hatte früher – mehr als heute – sehr oft Panikattacken, fürchtete, dass meine Karriere vorbei sein könnte. Es gab viele Leerzeiten in meiner Karriere, ich war oft arbeitslos. Wahrscheinlich mehr als ich letztlich beschäftigt war.

"Im August in Osage County" porträtiert eine dysfunktionale Familie aus Oklahoma, in der Sie sich als streitbare Mutter mit Ihrer Tochter, gespielt von Julia Roberts, auch schon mal prügeln.

Diese Rolle war definitiv eine der härtesten, die ich jemals gespielt habe. Ich hatte sie mehrfach abgelehnt, bevor ich letztlich zusagte. Aus Respekt vor den vielen Frauen dieser Welt, die in dysfunktionalen Familien aufwuchsen und ihr Leben lang darunter leiden. Diese Violet, die ich verkörpere, ist eine furchtbar gemeine Frau. Sie hat Mundkrebs, raucht wie ein Schlot und hat eigentlich ständig ein Glas Rotwein in der Hand. Sich in diesen Geistes- und Körperzustand zu versetzen, belastet einen schon tief greifend. Ich habe wochenlang geraucht, gesoffen wie ein Loch und mich einfach mal gehen lassen – das war nicht wirklich angenehm. Auch die furchtbar aggressive Prügelszene mit Julia Roberts war sehr hart. Ich habe das alles eigentlich nur ertragen, weil die gesamt Crew gemeinsam in einer Wohnanlage untergebracht war während der Dreharbeiten in Oklahoma. So konnte ich nach Drehschluss mit Julia, Produzent George Clooney und den anderen Kollegen wenigstens etwas Spaß haben.

Sie engagieren sich stark für mehr Gleichberechtigung in Hollywoods Filmindustrie. Was wollen Sie denn verbessert sehen?

Da könnte ich nun stundenlange Vorträge halten. Nur einige Beispiele: Bei nur vier Prozent aller Filme führt eine Frau Regie. Frauen verdienen im Showgeschäft oft weit weniger als männliche Kollegen. Ich finde es zudem wirklich deprimierend, wie sehr junge Schauspielerinnen heute unter Druck gesetzt werden. Sie werden gezwungen wie Victoria-Secret-Models auszusehen, das ist nicht gut. Und selbst gestandene Kolleginnen wie Sandra Bullock gelten noch immer als zweite Wahl in Filmen wie "Gravity", man hat lieber männliche Hauptdarsteller wie George Clooney. Es hat sich schon vieles verbessert, aber es gibt noch sehr viel zu tun.

Ihre Töchter Mamie und Grace sind Ihnen ins Filmgeschäft gefolgt. Finden Sie das gut?

Ich hätte mir gewünscht, dass beide eine andere Berufswahl treffen würden. Aber wenn das ihr Wunsch ist, dann unterstütze ich sie hundertprozentig. Mit Grace drehte ich jüngst den Film "Homesman", sie hat die Hauptrolle, ich nur einen Nebenpart. Steven Spielberg ist ganz begeistert von ihrer Leistung – das macht mich natürlich schon stolz.

Interview: Andreas Renner, Los Angeles

INFO: Am 2. März findet in Los Angeles die 86. Verleihung der Oscars statt. ORFeins und ProSieben übertragen die Gala live.

Ihre Karriere. Streep wurde am 22. Juni 1949 in Summit, New Jersey (USA), geboren. Nach ersten Theaterauftritten feierte sie Ende der 1970er-Jahre ihren Durchbruch mit dem TV-Mehrteiler "Holocaust" (1978) sowie mit den Kinofilmen "Die durch die Hölle gehen" (1978), "Manhattan" (1979) und "Kramer gegen Kramer" (1979). Seitdem gilt die dreifache Oscar-Preisträgerin (bei 18 Nominierungen) als eine der gefragtesten Filmdarstellerinnen der Welt.

Ihre Familie. 1978 heiratete Meryl Streep den Bildhauer Don Gummer. Mit ihm ist sie bis heute verheiratet, das Paar hat vier Kinder. Streeps Ururgroßeltern (Streeb) stammen aus Deutschland.

Ihr aktueller Film. Ab 6. März ist Meryl Streeps jüngster Film "Im August in Osage County" in den heimischen Kinos zu sehen. Die Rolle der Violet Weston brachte Streep ihre insgesamt 18. Oscar-Nominierung ein.