Menschliche Arbeit "ist das neue Bio"

Ausstellung zur Vienna Biennale im MAK
MAK-Chef Thun-Hohenstein über Roboter, politische Korrektheit und die kommende Konsumrevolution.

Die Roboter kommen – und sie werden uns viele Jobs wegnehmen. Die Konsequenzen sind Thema der zweiten Vienna Biennale (siehe unten). Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des Museums für Angewandte Kunst, im Interview.

KURIER: Zuletzt kursierte auf den Sozialen Medien ein Video von einem Roboter, der ein Haus baut. Der sucht die Ziegelsteine aus, schneidet die zurecht und verlegt sie. Als Bauarbeiter würde ich mir Sorgen machen.

Thun-Hohenstein: Die sind nicht die einzigen, die sich Sorgen machen müssen.

Werden wir alle durch Roboter ersetzt?

Es hat, das wissen wir aus der Vergangenheit, keinen Sinn, sich gegen Entwicklungen zu stemmen. Die Frage ist: Wie können wir unsere Zivilisation neu ausrichten, um die Konsequenzen dieser Automatisierung verträglich zu machen? Die Automatisierung wird kommen, und eher schneller als langsam. Wir müssen uns darauf gefasst machen. Die Frage wird sein: Wie finden wir für ein Heer von Arbeitslosen sinnvolle Beschäftigung?

Da geht es auch sehr viel um ein Bild vom Menschen – was ihm Arbeit bedeutet, was "sinnvoll" heißt.

Wir müssen abkommen von einem Gedanken, der sich leider in den Wissenschaften derzeit verbreitet: Alles Organische, das ist auch bei Yuval Noah Harari ("Homo Deus") kritisch nachzulesen, wird als algorithmisch angesehen. Ich trete dem schärfstens entgegen. Das Leben besteht nicht nur aus Algorithmen! Wenn man akzeptiert, dass es auch noch anderes beinhaltet, tun sich neue Spielräume für den Menschen auf. Es wird Arbeitsbereiche geben, die wir heute vielleicht noch gar nicht erahnen.

Eine Frage, die bleiben wird, ist, wer künftig Menschen für ihre Arbeit bezahlen wird. In Finnland testet man bereits das bedingungslose Grundeinkommen.

Ein wichtiges Experiment. Ein Grundeinkommen wird eine wichtige Rolle spielen. Aber das könnte auch an gewisse Bedingungen geknüpft sein – etwa, dass die dadurch bezahlte Zeit sinnvoll eingesetzt wird, für Bildung oder für Arbeit am Gemeinwohl. Und nicht für First Person Shooter Games. Die Grundsatzfrage ist: Wohin wollen wir uns entwickeln?

Ja, wohin?

Wollen wir uns bedingungslos aufgeben, wie das die Dataisten (ein von Harari geprägter Begriff für Daten-Gläubige, Anm.) predigen? Ist es sinnvoll, wenn es durch digitales Upgrading verstärkte Supermenschen gibt? Oder wollen wir, und das ist meiner Meinung nach der sinnvolle Weg, gerade in Europa eine Humanunion, die auch die Grenzen der Digitalisierung klar definiert? Diese Grenzen werden vielleicht in Europa anders gezogen als im Silicon Valley oder in Asien. Wir haben in der Industrialisierung den großen Fehler begangen, dass Umweltkosten externalisiert wurden. Das heißt, das baden künftige Generationen aus, und es gibt gewaltige Schwierigkeiten, von diesem riesigen ökologischen Fußabdruck wieder herunterzukommen. Wir dürfen in der Digitalisierung nicht wieder so einen großen Fehler machen, dass nämlich der Mensch auf der Strecke bleibt. Wir müssen überlegen, was uns hilft, eine möglichst hohe Qualität des Menschseins zu erhalten – und weiterzuentwickeln.

Das wird nicht leicht.

Da kommt man auf eine ganz heikle Frage: Hat politische Korrektheit nicht über das Ziel hinausgeschossen? Brauchen wir nicht völlige Offenheit bei Respektierung der Minderheitenrechte? Und auch eine viel aktivere Pflege der gewachsenen Kultur in jedem Land? Nur aus einem solchen Kraftzentrum heraus wird eine Bewahrung der Humangesellschaft funktionieren. Sonst haben wir ein großes Loch in der Mitte, das uns direkt zu den Supermenschen führt. Dann werden wirklich nur mehr Algorithmen auf der Welt sein – und keine Menschen mehr.

Und da kommen dann Museen und Künstler ins Spiel, und auch die Vienna Biennale.

Diese Dimensionen zu erfassen, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik natürlich, aber auch in Kunst und Kultur ist das Wichtigste überhaupt. Je mehr überzeugende Stimmen es gibt, desto eher wird es vielleicht gelingen, einen eigenen europäischen Weg zu gehen. Dann stellt sich die Frage, was eine Kunst ist, die ihrer Zeit angemessen ist; und die selbe Frage stellt sich für Architektur, Design und viele andere Bereiche. Es geht darum, Kunst zu machen, die uns all die Dimensionen aufzeigt, die uns derzeit fordern, und die Perspektiven für die Zukunft. Daher ist die Pflege des kulturellen Erbes – ob das Inszenierungen im Theater sind oder Ausstellungen im Museum – auch immens wichtig. Weil diese Pflege mit Menschsein zu tun hat, wenn es im Theater um menschliche Konflikte geht. Das muss man den "Digital Natives" zeigen: Wie ist man damit ohne Algorithmen umgegangen?

Das soll auch die Biennale vermitteln?

Sie soll Menschen jeden Bildungsgrades ermöglichen zu sagen: Ich verstehe jetzt, worum es da geht. Die Roboterisierung bringt möglicherweise viele Erleichterungen, aber auch viele Gefahren. Und jetzt muss ich für mich selber definieren: Wie verhalte ich mich dazu?

Eine Frage der Konsumentenverantwortung.

Die nächste digitale Revolution wird eine Konsumrevolution sein. So, wie wir jetzt die Kalorien auf den Produktbeschreibungen lesen können, werden wir hoffentlich künftig lesen: Humanfaktor soundsoviel. Und dann kann sich der Konsument überlegen: Greife ich bei vergleichbaren Produkten zu einem menschgemachten Produkt, oder nehme ich das rein algorithmische Produkt, das Menschen Arbeitsplätze kostet? Bei der von mir vorgeschlagenen Europäischen Humanunion könnte diese Vergleichbarkeit und Bewertung eine große Rolle spielen.

Der Humananteil als gutes Geschäft?

Ja, das ist das neue Bio. Nur muss es breiter und erschwinglicher sein als Bio. Wenn man sich da richtig positioniert, gibt es viel Gewinnlogik. Und vor allem große Chancen für die EU, einen wirtschaftlich erfolgreichen Human-Weg zu gehen. Freilich unter der Voraussetzung, dass es gelingt, die großen globalen Gefahrenthemen – Superhumanismus, Superintelligenz – in den Griff zu bekommen.

Die Vienna Biennale: Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft.

Die zweite Vienna Biennale beschäftigt sich vom 21. Juni bis zum 1. Oktober mit der Zukunft der Arbeit. Ziel ist es, Wege auszuleuchten, um das Beste für den Menschen aus der Turbo-Digitalisierung herauszuholen. Visionäre und utopische, aber auch realisierbare kreative Szenarien sollen ein komplexes, verheißungsvolles Bild der digitalen (Arbeits-)Welt der Zukunft“ zeichnen. Es wird zehn Ausstellungen und Projekte zwischen MAK („Hello, Robot. Design zwischen Mensch und Maschine“), Kunsthalle, der Angewandten und dem Az W am Nordbahnhof geben. Info zu den Projekten gibt es unter www.viennabiennale.org

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