"Menschenfeind": Intelligent, zeitgemäß und charmant

Kein Menschenfeind, nur ein Feind der Heuchelei: Lukas Holzhausen (re., als Alceste) mit Günther Wiederschwinger (als Dubois)
Dem jungen Regisseur Felix Hafner gelingt ein großartiger "Menschenfeind" im Volkstheater.

Stehen Komödien-Klassiker auf dem Spielplan, bekommt es der geübte Theaterbesucher meist mit der Angst zu tun. Denn es scheint hier nur zwei Möglichkeiten zu geben. a) Das Stück wird, Tapetentür auf, Tapetentür zu, im Stil der Fünfzigerjahre inszeniert. b) Der Regisseur beschließt, dass in der Komödie in Wahrheit eine sozialkritische Tragödie schlummert, die er durch Filmzuspielungen, live gesungene Heavy-Metal-Stücke und ausgedehnte Erbrech-Sequenzen freilegen muss.

Dem jungen Regisseur Felix Hafner ist mit seiner erstklassigen Inszenierung von Molières "Der Menschenfeind" im Wiener Volkstheater etwas Außergewöhnliches gelungen: Der Nachweis, dass man auch intelligent, zeitgemäß, temporeich, amüsant und charmant Komödie spielen kann.

Sportarten

Im Zentrum des 350 Jahre alten Stücks steht der Idealist Alceste, der die Heuchelei nicht erträgt und sich daher den gesellschaftlichen Sportarten Small talk, Tratsch und Einander-Ausrichten verweigert. Er ist in Wahrheit gar kein Menschenfeind, sondern ein Feind der Unaufrichtigkeit. Das ist ein Thema, das heute genauso aktuell ist wie in der Barockzeit – und wahrscheinlich immer aktuell sein wird, solange Menschen aufeinander treffen.

Trotz – oder vielleicht auch wegen – seiner schroffen Art ist Alceste beliebt. Männer bemühen sich um seine Freundschaft, Frauen um seine Liebe. Aber, und das ist der Gag dieses Stückes. Alceste interessiert sich nur für die kokette Célimène, die seine Gefühle durchaus erwidert, aber keineswegs bereit ist, für ihn auf ihre Flirts und gesellschaftlichen Vergnügungen zu verzichten.

Mit diesem Stück hat Molière seine eigene Stellung in der französischen Gesellschaft beschrieben: Als dem Ideal der Ehrlichkeit verpflichteter Bürgerlicher fühlte er sich, obwohl bei Hof geschätzt, gegenüber dem intriganten Adel immer fremd.

Meisterhaft

Felix Hafner inszeniert dieses meisterhafte Stück in der großartigen, gereimten Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens von 1983 temporeich und voller Witz, gleichzeitig sind die Szenen durchzogen von leiser Melancholie.

Die Sequenz, in der der eitle "Dichter" Oronte sein unsagbar schlechtes Sonett vorträgt und dabei immer mehr in eine schmierige Kitschpop-Nummer abgleitet, ist ebenso hinreißend komisch wie der Torte-im-Gesicht-Slapstick zwischen Célimène und ihrer prüden Intimfeindin Arsinoé.

Ganz besonders gut gelingen auch die Szenen zwischen Alceste und Célimène, wo bei allem Sprachwitz immer wieder die tiefe Trauer zweier Menschen zu spüren ist, die einander begehren, aber den Weg zueinander einfach nicht finden. Lukas Holzhausen und Evi Kehrstephan spielen das brillant. Unter den übrigen Darstellern seien Sebastian Klein als Alcestes Freund Philinte und Nadine Quittner als dessen "love interest" Éliante genannt, aber in Wahrheit spielen alle gut.

Fazit: Felix Hafner gelingt es, eine höchst unterhaltsame, kluge Komödie zu inszenieren, die dem Publikum dennoch nie die Erkenntnis "Wir sind gemeint" erspart. Völlig zu Recht ganz großer Jubel!

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