Die Tage der Mühl-Kommune

Filmseite/Interview
Der Filmemacher Paul-Julien Robert erzählt in der hervorragenden Doku "Meine keine Familie" von seiner Kindheit in der Gemeinschaft.

Paul-Julien Robert ist nicht in der typischen Kleinfamilie aufgewachsen. Lange Zeit wusste er überhaupt nicht, wer eigentlich sein Vater war. Paul-Julien Robert wuchs auf dem Friedrichshof im Burgenland auf, der größten Kommune in Europa, die Anfang der 70er-Jahre von dem Wiener Aktionisten Otto Mühl gegründet worden war.

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Dort wurden Eltern von ihren Kindern getrennt, das Privateigentum abgeschafft und freie Sexualität praktiziert. In seiner überaus sehenswerten Doku „Meine keine Familie“ (ab Freitag im Kino) besucht Robert mit seiner Mutter Orte der Vergangenheit, sichtet bis dahin unveröffentlichtes Archivmaterial, das das Kommunenleben dokumentierte und befragt Ex-Kommunarden nach ihren Erfahrungen.

KURIER: Welche Gefühle haben Sie zu Ihrer Doku bewogen? Wut und Anklage offenbar nicht?

Paul-Julien Robert: Nein, überhaupt nicht. Ich empfand einfach große Neugierde, auch speziell, was das Archivmaterial anging. Zu begreifen, dass ich das bin, das man da als Kind in der Mitte stehen sieht – das war natürlich emotional schon schwierig. Aber es ging mir nicht darum, das Bild von Otto Mühl anders darzustellen. Mir war es auch wichtig, alles sehr subjektiv zu erzählen.

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Apropos Archivmaterial: Es gibt eine unfassbare Szene, in der Mühl einen kleinen Buben bei einer sogenannten Selbstdarstellung vor der ganzen Gruppe demütigt und mit Wasser überschüttet. Und alle sehen zu. Wie erklären Sie sich das? Daran sieht man, dass das keine Ausnahmesituation war. Es konnte jederzeit passieren, dass Otto Mühl die Kontrolle verliert und ein Kind fertigmacht. Ich glaube, die Leute waren froh, dass sie nicht selbst in der Mitte stehen mussten und deshalb haben sie den Mund gehalten.

Was haben Sie für Erinnerungen an Otto Mühl?
Ich hatte eher Angst vor ihm. Wir Kinder waren hauptsächlich während der Selbstdarstellungsabende in seiner Nähe, wo 200 Leute zusahen. Allein das war schon Furcht einflößend. Ich habe seine Nähe nie gesucht.

In der Öffentlichkeit wird Mühl auch immer in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch diskutiert. Aber Sie stellen das nicht in den Vordergrund.
Es gibt natürlich verschiedene Ebenen von Missbrauch. Und dass Missbrauch auch mit Kindern stattgefunden hat, die nicht sexuell missbraucht wurden, sieht man im Archivmaterial. Der sexuelle Missbrauch war nur ein kleiner Teil, auf den die Öffentlichkeit eine Geilheit entwickelt hat. Aber der Alltag hatte ja auch seine Spuren bei den Kindern hinterlassen. Ich persönlich kann auch von keinem sexuellen Missbrauch erzählen, weil ich noch zu jung war.

"Offensichtlich ist die Schuldfrage eben doch noch nicht ganz geklärt“

Können Sie sich an die letzte Begegnung mit Otto Mühl erinnern?
Das war bei der ersten MAK–Ausstellung, da war er schon ein kranker Mann. Ich habe ihn mit Themen konfrontiert, über die er nicht reden wollte. Etwa, wie das damals mit den Mädchen war und was er dazu zu sagen hat. Da ist er aufgestanden und gegangen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

Gab es Szenen, bei denen Sie überlegt haben, ob Sie sie im Film zeigen wollen?
Für mich war die schwierigste Szene die, wo meine Mutter und mein Vater darüber reden, dass sie sich keine Schuldgefühle machen.

Warum?
Weil ich sie selbst nie nach Schuld gefragt habe, und weil ich Ihnen keine Vorwürfe machen wollte. Aber dann fangen sie von sich aus plötzlich an, davon zu reden, was für mich fast unangenehm war, weil es sie ganz klar so stark beschäftigt – auch wenn sie sagen, sie machen sie keine Vorwürfe. Offensichtlich ist die Schuldfrage eben doch noch nicht ganz geklärt.

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