Mathieu Amalric: "Burlesque ist subversiv"

Mathieu Amalric: "Burlesque ist subversiv"
In "Tournée" setzt er die Erotik starker Frauen in Szene: Der französische Autor, Regisseur und Schauspieler Mathieu Amalric im KURIER-Interview.

Klein ist er, dünn, feingliedrig. Ganz anders, als man sich einen Mann vorstellt, der eine derart starke Leinwandpräsenz hat. Klein, aber oho: Mathieu Amalric fixiert sein Gegenüber mit wachem Blick, schmeichelt, flucht, bläst Kringel seiner dritten Zigarette in zwanzig Minuten in die Luft. Ein Mann mit Charisma, der kriegt, was er will. Die Promotion-Termine im Pariser Grand Hotel Intercontinental für seinen Film "Tournée" gehen ihm sichtlich auf die Nerven.

Mathieu Amalric: "Burlesque ist subversiv"

KURIER: Ich bin froh, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen, aber Sie sehen nicht sehr glücklich aus.
Mathieu Amalric: Ach, diese Promo-Tours sind immer so eine lächerliche, künstliche Angelegenheit. Man hat nicht wirklich was zu sagen. Man lässt die Journalisten nur glauben, dass man das hat. Völlig sinnlos! Ich mach' meine Arbeit gern. Aber warum nachher darüber reden?

In "Tournée" spielen Sie den Manager und Impresario einer Burlesque-Truppe, der es mit seinen Mädels nicht weiter schafft als auf kleine Provinzbühnen. Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?
Einerseits ein Buch von Colette, "La Vagabonde", in dem sie von ihrer gescheiterten Ehe mit Henry Gauthier-Villars erzählt. Er nutzte sie aus, schrieb seinen Namen unter ihre Werke. Nach der Scheidung lebte Colette eine Zeit lang mit einer Frau zusammen, lernte tanzen, trat als Varietékünstlerin auf, ließ schon ab und zu den Busen blitzen. Sie hielt all ihre Erlebnisse von dieser Tour fest. Das zog mich magisch an. Ich fragte mich: Warum hat eine Frau solche Lust daran, ihren Körper zu zeigen? Ist das ein Akt der Befreiung? - Dieses ganze Genre der Burlesque hat für mich etwas Politisches, Subversives. Sehr wirksam, um den Zorn gegen die Verpflichtung zum perfekten Körper auszudrücken.
Andererseits fasziniert mich auch die Verrücktheit von Produzenten wie Joachim in "Tournée". Die glauben - wie einst Polanski oder Claude Berri - so fest an ihr Ding, dass sie sogar ihr Haus dafür verkaufen.

Dem breiten Publikum sind Sie ja als Schauspieler bekannt, nicht als Regisseur. Fühlen Sie sich vor oder hinter der Kamera wohler?

Ich bin zum Kino gekommen, weil ich alles über Film wissen wollte. Otar Iosseliani führte mich ein. Ich habe Kurzfilme gedreht, alles ausprobiert und gelernt, was man hinter der Kamera können muss. Erst danach hat mich Arnaud Desplechin in "Die Wache" als Schauspieler erfunden. Das war eine Reise ins Unbekannte für mich. So, als ob ich dunkle, gefährliche Zonen in mir entdecken würde. Zonen, vor denen man Scheu hat.

Den scheuen Eindruck machen Sie immer noch, wenn Sie spielen.
Die Scheuen sind die Verrücktesten. Die von ihrem Unterbewusstsein gesteuert sind. Man muss bis zu einem gewissen Grad Komplexe und Angst haben, nicht bewusst agieren, wenn man ein guter Schauspieler sein will. Ich möchte nicht spielen, sondern mich auf mich verlassen können. Regisseur sein ist da schon was anderes: Man steht unter finanziellem Druck, muss viel arbeiten. Hier, bei "Tournée", hat mich gerettet, dass ich schon vor dem Dreh mit den Frauen, allesamt Schauspiellaien, geredet habe. Beim Dreh konnten wir dann den Eindruck vermitteln, dass wir einfach das Leben einfangen, dass das keine Arbeit ist. Die Arbeit war, die harte Arbeit, die hinter all dem steckte, zu verbergen. Freejazz zu vermitteln, obwohl jeder die Akkorde kannte. Das erfordert Komplizenschaft. So kannst du nur mit Menschen arbeiten, die dir vertraut sind und - ja, ich muss es sagen - keine Profis. Zu hundert Prozent fähig zur Selbstironie.

Wie verirrt sich ein eigensinniger Typ wie Sie in einen Blockbuster wie "James Bond - Ein Quantum Trost"?
Das war ein Coup für mich. Toll. Es führte mich wieder zur Essenz dessen, was ein Schauspieler können muss: Präzise seinen Körper einsetzen. Sich anschießen lassen und dabei glücklich aussehen.

Hansdampf: Auch "Bond"-Bösewicht

Mathieu Amalric: "Burlesque ist subversiv"

Womanizer: Mathieu Amalric wurde am 25.10.1965 in Neuilly-sur-Seine geboren. Durch seine Eltern lernte er den georgischen Regisseur Otar Iosseliani kennen, der ihm die erste Filmrolle gab. Der Durchbruch gelang mit Arnaud Desplechins "Ich und meine Liebe". Es folgten "München", "Schmetterling und Taucherglocke" und "Ein Quantum Trost". Amalric lebt in Paris und hat drei Kinder von zwei Frauen.

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