Martin Walsers neues Werk "Meine Lebensreisen"

Martin Walsers neues Werk "Meine Lebensreisen"
Der neue Band des soeben 85 Jahre alt gewordenen Schriftstellers versammelt Reisenotizen aus 1952 bis 1981.

Bei Martin Walser denken viele automatisch auch an den Bodensee. Der Autor ist seiner Region stark verbunden: Er ist im Süden Deutschlands verwurzelt, ein Heimatmensch - vielleicht sogar ein Heimatschriftsteller. Doch er ist auch viel gereist - schon früh hat er die USA besucht, Frankreich, Spanien, Russland, Tschechien. In seinem jüngsten Buch "Meine Lebensreisen" (Corso-Verlag) kann man genau diesem weit herumgekommenen Martin Walser nachfolgen.

   Der Band versammelt Reisenotizen von 1952 bis 1981: Als junger Rundfunk- und Fernsehredakteur ist Walser in den 50er Jahren in London und Paris unterwegs, er macht Filmaufnahmen in Warschau, später reist er nach Portugal, Frankreich und Übersee. So findet sich in dem schmalen, von außen sehr schlicht gehaltenen Band auch die Reportage "Ein bisschen Hölle, ab ins Paradies" aus dem Jahr 1972. Im Auftrag des Magazins Stern reiste Walser damals durch Trinidad und Tobago. Doch der Text wird nach Angaben des Corso-Verlages nie gedruckt - er fällt nicht fröhlich genug aus.

   Denn Martin Walser bleibt bei seinen Notizen stets distanziert. Nicht das Verstehen und Anpassen scheint ihm wichtig, sondern vielmehr das Beobachten und Entdecken. "Eine alte Frau, scharf um sich sehend, strickt demonstrativ, obwohl kein Mensch von ihr etwas lernen will", skizziert der junge Autor in Paris. Beim Besuch eines Filmfestspiels in Tschechien notiert er wenige Jahre später und mit spitzer Feder: "Die Männer der Delegationen sehen manchmal noch sportlich aus, das gelingt den Frauen kaum, sie bleiben kleinbürgerlich, bäurisch, proletarisch."

Früher Humor

Martin Walsers neues Werk "Meine Lebensreisen"

  Bei den frühen Beschreibungen merkt man Walser einen verschrobenen Humor an: Als er im Jahr 1958 nach New York reist, um als Stipendiat an Henry Kissingers International Summer School in den USA teilzunehmen - eine Reise, die den Schriftsteller stark prägen wird -, lästert er über die Schweißfüße eines Mitreisenden: "Der Geruch wird mir noch in der Nase hängen, wenn ich über sieben salzige Meere gefahren bin. Wem Gott einen solchen Mangel auflud, dem gab er auch die Unempfindlichkeit dazu."

   Doch man entdeckt auch einen anderen Walser in den Notizen: Einen noch jungen Mann, der mit sich selbst und den neuen Erfahrungen ringt, der auf der Suche ist nach Sinnhaftigkeit. "Lass mich beten um das Quäntchen Kraft, das nötig ist, um der Welt für zehn Minuten zu entkommen", schreibt er auf seiner Reise in die USA. "Ich wage nicht an Gott zu denken, weil ich mich dann ändern müsste. [...] Aber ich fühle doch, dass Gott eine Richtung ist, in der ich zu leben wünschte."

   Das Thema lässt ihn sein Leben lang nicht los: Jahrzehnte später setzt sich Martin Walser erneut intensiv mit seinem Glauben auseinander: In "Über Rechtfertigung, eine Versuchung" macht er sich wieder auf die Suche, folgt Kafka, Dostojewski, Jean Paul und - immer wieder - dem Theologen Karl Barth nach und sucht seine Antworten in der Literatur. Auf den Punkt bringt er es aber in einem sehr persönlichen Satz: "Wenn ich von einem Atheisten höre, dass es Gott nicht gebe", schreibt Walser, "fällt mir ein: Aber er fehlt. Mir."

   Bei seiner Suche nach Antworten geht Walser von der Frage nach der Rechtfertigung des Menschen aus: "Gerechtfertigt zu sein, war einmal das Wichtigste", schreibt er. "Staaten legitimieren sich durch Gesetze. Regierungen durch Wahlen. Aber der Einzelne?" Martin Walser musste sich gleich mehrfach rechtfertigen in seinem Leben. "Dreimal hat mich der Zeitgeist scharf zurückgewiesen", heißt es in seinem Essay. Er spricht sich gegen den Vietnamkrieg aus, nennt die Teilung Deutschlands ein "Katastrophenprodukt", wehrt sich 1998 gegen eine "Instrumentalisierung" von Auschwitz.

   Auch gegen den Vorwurf des Antisemitismus musste der Autor sich wehren: Dass man ihm dies vorwerfen konnte, habe er nie begriffen, sagt Walser. Ein Schriftsteller könne, wenn er halbwegs bei Trost sei, nichts anderes sein als ein Schriftsteller. Und er zitiert Kafka: "Alles, was nicht Literatur ist, langweilt mich."

(Von Kathrin Streckenbach/dpa)

 

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