Martin Schwab: "Menschen, lasst euch verzaubern!"

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Burg-Star Martin Schwab über die Peter-Handke-Uraufführung am 27. Februar in Wien.

Nächstes Jahr ist Martin Schwab seit 30 Jahren fix am Burgtheater – und wird 80 Jahre alt. Im Interview ist er oft ganz Theater-Weiser – und Sekunden später feuerköpfiger Schalk, der Thomas Bernhard vorspielt, einen Monolog aus "Nathan der Weise" und ein Rilke-Gedicht, der hinreißend Peymann und andere parodiert.

Zwischendurch erzählt er von einer Skandinavien-Reise und spricht das Wort "Hurtigruten" so vollendet musikalisch aus, dass es klingt wie von Schiller.

KURIER: Claus Peymann inszeniert wieder eine Handke-Uraufführung in Wien: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Die Aufregung ist enorm.

Martin Schwab: Und denken die Wiener auch daran, wie die früheren Handke-Stücke damals aufgenommen wurden? Heute werden die ja alle glorifiziert. In seinem neuen Stück, das sich übrigens in vielem von anderen Handke-Stücken unterscheidet, geht es um den Kampf des Individuums gegen die Masse. Dabei wird die Masse nicht als schlecht dargestellt. Der einzelne in der Masse weiß ja nicht, was er tut. Es ist ein optimistisches Stück. Handke sagt, er will nicht traurig enden. Er gibt die Hoffnung weiter – es kann nur etwas Neues kommen und davor muss man nicht Angst haben. Sagt er als "Mystiker". Handke ist ja ein Mystiker!

Peymann sagt, das Publikum brauche für dieses Stück Neugier auf Zauber.

Ja, deshalb sind da auch Spurenelemente von Shakespeares "Der Sturm" drin, vom wilden Wesen Caliban, vom Kulturmenschen und Zauberer Prospero ... Das ist auch eine Botschaft des Dichters an uns: Menschen, lasst euch doch verzaubern!

Glauben Sie, ist die Neugier des Publikums da?

Wenn sie nicht da ist, muss man sie wecken. Aber ich glaube, das Publikum ist viel offener, als man ihm unterstellt. Die größte Offenbarung ist die Stille! Action gibt es ohnehin genug. Darin liegt eine Verantwortung für uns – den Text ernst zu nehmen. Und Claus Peymann nimmt den Text sehr ernst.

Sie arbeiten schon so lange zusammen ...

Seit Beginn der Zeitrechnung, sage ich immer!

... was macht die Zusammenarbeit so besonders?

Claus Peymann ist ja nicht mein Freund, sondern er ist mein Regisseur, der mit mir ins Streiten gerät und ich mit ihm. Da muss man sich die Wahl der Waffen wohl überlegen. Ich bin ja keiner, der blind zieht, aber Peymann legt sofort los mit allem Drum und Dran. Es ist ja bekannt: Gott weiß alles, Peymann weiß es besser! Aber ich kann damit umgehen.

Würden Sie sagen, es ist leicht mit Ihnen zu arbeiten?

Ich versuche, offen für alles zu sein. Aber ich lege Wert auf meine Spielregeln, was Form und Verehrung für das Theater und dem Haus gegenüber betrifft.

Was meinen Sie damit?

In diesem Haus soll man nicht herumgehen, als wäre das eine Massenkantine. Und man pfeift zum Beispiel nicht, das macht man einfach nicht (Pfeifen im Theater ist laut ungeschriebenem Gesetz verpönt; Anm.). Und wenn man im Zuschauerraum war und wieder die Bühne betritt, dann klopft man drauf! Also zumindest ich mache es so. Und zwar nicht, weil ich abergläubisch wäre, sondern als Ehrerbietung denen gegenüber, die das vor mir gemacht haben. Es geht um Ehrfurcht vor der Bühne! Wenn ich nur einen Satz zu sagen habe – dann muss ich wissen: In diesem Moment hören mir alle zu.

Handke sagte, das Geheimnis der großen Schauspieler sei "Ernst und Spiel in einem". Das beschreibt genau Sie.

Oh ...! Ich kenne ja Peter Handke seit 1982, da haben wir mit Wim Wenders in Salzburg "Über die Dörfer" gemacht. Und da hatten wir die Gelegenheit, in Griffen in einer Berghütte acht Tage zu verbringen. Dann kam Peter Handke und sagte: Wie? Da gibt’s keinen Fernseher? Es war gerade Fußball-Weltmeisterschaft. Und ich sagte: Herr Handke, ich wohne unten bei einem Bauern, da gibt’s einen. Und so kamen wir uns näher.

Sie arbeiten gerne mit den Dichtern zusammen?

In Salzburg waren wir einmal nach einer Probe zum "Theatermacher" mit Thomas Bernhard essen. Auf einmal sagt der Bernhard: Da fehlt noch etwas, ich muss noch auf den Weinskandal Bezug nehmen! Und beginnt auf irgendeinen Speisezettel etwas zu schreiben. Er wusste genau, wenn der Wirt kommt und zu Bruscon sagt: Ein Wein gefällig, der Herr? Dann sagt Bruscon: Wein? Um Gottes Willen! Wein? Nein! In Österreich keinen Wein! Das hat er im Gasthaus gedichtet.

In einem KURIER-Interview haben Sie gesagt, Sie suchen im Theater das Wagnis. Sind Sie immer noch waghalsig?

Auf alle Fälle. Wobei Wagnis nicht bedeutet, barfuß auf einen Sechstausender zu gehen. Sondern mit anderen Menschen etwas Mutiges zu machen. Gerade wir mit den festen Verträgen können doch mutig sein – wir müssen beispielgebend wirken!

Dem Theater geht es heute weniger gut als vor 20 Jahren – und es muss sich heute für seine Kosten rechtfertigen.

Daran sind auch die Theaterleute schuld. Weil die oft dumm waren! Und immer nur sich gemeint haben und ihre Befindlichkeiten! Die mich übrigens einen Dreck interessieren, mich interessieren die Befindlichkeiten, von denen der Dichter schreibt. Die haben immer die Ich-Show gemacht – Regisseure, die sich über jedes Problem lustig machen, aber wenn derjenige dieses Problem privat hat ... (spielt schluchzenden Regisseur vor) ist sein Herz gebrochen.

Wie stehen Sie zur Diskussion um die beim "Jedermann" angespielte "Internationale"?

Ich komme aus dem Theater der 68er-Ära. Wenn da aus dem Zuschauerraum etwas kam, dann konnte man darauf auch eingehen. Ich mag es nicht, wenn die auf der Bühne sich zu wichtig nehmen und ex cathedra etwas verkünden. Aber mit den Mitteln und dem Witz des Theaters für einen Moment auf etwas zu reagieren, das muss möglich sein! Ich würde nicht an die Rampe gehen und singen: VÖLKER HÖRT DIE SIGNALE! Aber ich würde zum Beispiel in der Rolle die Melodie pfeifen. Dann ist es spielerisch, und wer es merken soll, der merkt es.

Wird die Handke-Uraufführung Aufregung auslösen, wie Handke-Premieren früher?

Nein, die Aufführung ist nicht zum Aufregen, sondern zum Nachdenken, zum Wach-Denken, zum Über-Legen! Aber es muss leicht bleiben und Humor haben.

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