Martin Grubinger: "Gott sei Dank gibt es in der Musik keine Dopingtests"
Tack, tack, tack, tack, tack macht die Cowbell, und alleine in diesem Schlag liegt eine sagenhafte Energie. "Noch einmal, bitte", sagt Martin Grubinger, tack, tack, tack, tack, "jetzt mit den richtigen Tönen!", tack, tack, tack, tack, "diesmal im Beat!"
Tack, tack, tack, tack.
Bis es passt.
Der 34-jährige Schlagzeuger hat Sagenhaftes geschafft: Er hat ein Instrument, das sonst ein Schattendasein im Klassikbetrieb führt, zum Star gemacht. Und hat damit auch ein Publikum begeistert, das sonst die Konzertsäle (und vor allem die zeitgenössische Musik!) meidet. Grubinger geht dabei an seine Grenzen: Mit einem mehrstündigen Marathonkonzert im Musikverein rüttelte er 2006 den Klassikbetrieb auf, er läuft Marathon, um fit genug für seine Konzerte zu sein. Der Bayern-München-Fan spielte er in allen Konzertsälen der Welt (zuletzt vier Konzerte an einem Wochenende in der neuen Elbphilharmonie) und bei der Song Contest-Eröffnung.
Er ist genau der junge, außergewöhnliche, zugängliche und originelle Star, den die Orchestermusik dringend braucht.
Beim KURIER-Besuch in seinem Haus probt er gerade für Klassik am Dom (siehe unten). Jeden anderen würde man vor dem Interview fragen, ob er nicht eine Pause braucht nach der energetischen Probe. Grubinger aber schaut entspannt genug für die Einstiegsfrage.
KURIER: Sind Sie nie müde?
Martin Grubinger: Doch, das kommt schon vor.
KURIER: Sie haben gesagt, mit 40 ist Schluss. Steht das?
Martin Grubinger: Das steht. Ich möchte noch einmal ganz etwas anderes machen. Mein Traum ist, Geschichte zu studieren.
Müssen Sie nach Ihrer Karriere überhaupt noch arbeiten?
Ja. Es ist die Frage, ob ich das Geschichtestudium wirtschaftlich hinbekomme. Ich vermute, dass die Welt nicht auf einen Historiker Grubinger wartet (lacht)
Den Verlockungen der Musik können Sie dann widerstehen?
Ich hoffe. Ich vermute, dass es dann noch Verlockungen geben wird, wo ich sage, das möchte ich gerne! (lacht)
Aber es ist ein Entweder-Oder, nicht? Auf Ihrem Niveau kann man nicht einfach alle drei Jahre ein Projekt machen, sondern wenn man aufhört, ist es aus.
Völlig richtig. In dieser Intensität gilt das Never-Come-Back-Prinzip. Ich spüre es schon nach ein paar Tagen, in denen ich nichts gespielt habe. Ein Wiedereinstieg wäre auch emotional sehr schwierig: Ich stecke in der Sache so drinnen, mache so viele verschiedene Projekte, habe vier, fünf Erst- und Uraufführungen gleichzeitig, die ich verwirklichen möchte. Das sind alles musikalische Träume, aus denen man nicht leicht aussteigt, um zwei, drei Jahre später einen musikalischen Relaunch zu machen.
Der Ausstieg selbst wird auch emotional schwierig?
Ich liebe Musik. Aber ich kann mir wunderbar vorstellen, einfach ein Abo zu haben und im Konzertsaal zu sitzen.
Zum Bayern-Abo dazu.
Genau!
Dank Grubinger haben Menschen Musik von Rihm, Cerha oder Xenakis gehört, die das sonst nie hätten. Und neue Werke für eine neue Generation an Soloschlagzeugern entstehen. "Ich werde sagen können: Mein Part ist erledigt", sagt er.
KURIER: Sie klar gemacht, dass zeitgenössische Musik auch etwas Lustvolles und Geiles...
Martin Grubinger: Ja!
..ist. Machen die anderen etwas falsch?
Falsch würde ich nicht sagen. Wir Schlagzeuger machen aus der Not eine Tugend. Wir haben keine großen Meisterwerke der letzten 300 Jahre. Niemals hätte ich mir gedacht, dass wir an einem Wochenende vier Konzerte mit reinem Schlagzeugprogramm in der Elbphilharmonie spielen!
Oder beim Song Contest vor Millionen Menschen am TV-Gerät.
Unvorstellbar! Um das zu erreichen, müssen wir diese Musik mit absoluter Begeisterung spielen. Wir haben sechs Schlagzeugsextette an einem Tag gemacht: Rihm, Cerha, zwei Mal Xenakis, Grisey und Steve Reich.
Mit Verlaub, ein Programm, bei dem viele Konzertbesucher sonst leider Reißaus nehmen.
So ist es. Und wissen Sie, was? Es war ausverkauft. Die Menschen vertrauen uns. Die wissen: Wir geben unser letztes Hemd, Haut und Haar dafür, dass wir diese Musik zum Leben erwecken. Wir sagen nicht: Den Rihm realisieren wir jetzt, und im zweiten Teil interpretieren wir den Beethoven. Wir haben keinen Beethoven! Der Rihm ist alles, was wir haben. Und das ist toll. Das legt uns die Verpflichtung auf, dass wir uns wirklich reinsteigern. Wir müssen brennen dafür.
Martin Grubinger: Ja. Ich spüre, dass ich nicht mehr 24 bin. Manchmal legt man mir das aus als "der sportelnde Musiker", das hat diesen... Touch.
Antiintellektuell.
Ja. Wir haben ein großes Projekt gemacht, bei dem uns ein Sportmediziner begleitet hat. Ich habe Xenakis gespielt und hatte einen Maximalpuls von 196, im Durchschnitt 168, bei einem Kalorienverbrauch in einem Konzert von über 2000. Das ist unsere Realität. Schlagzeug ist ein ganzkörperliches Instrument. Das Sportliche ist Mittel zum Zweck.
Der Klassikbetrieb gesteht sich sonst nicht gerne ein, wie abhängig er von Körperlichkeit ist, etwa bei Sängern. Die sind körperbedingt manchmal ganz schnell am Karriereende.
Völlig richtig. Im Vergleich zu den Spitzensportlern gehen wir das nicht professionell an. Sportler haben mentale Betreuung, Ernährungsberatung, Physiotherapeuten. Das bräuchten wir auch alles! Wir könnten viel von den Sportlern lernen. Ich habe mit der Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner über Ernährung gesprochen. Das ist ein schwieriges Thema bei mir: Ich liebe Haribo über alles (lacht). Sie hat gesagt: Martin, so geht das nicht. Ich habe mich an ihre Vorgaben gehalten und vier Kilo abgespeckt.
Ganz oben im Spitzensport dopen viele Sportler, um Höchstleistungen zu erzielen. Nützt das etwas bei Schlagzeugern?
Schnell ist Grubingers Leben in fast allen Aspekten – außer in seinem Lebensbereich. Er wohnt nicht in einer Musikmetropole, sondern am Land. "Ich muss hier leben. Ich bin wahnsinnig gern unter den Leuten hier und spreche mit ihnen über ihren Alltag. Ich spiele hier in die Blasmusik", sagt Grubinger. Wirklich?
Martin Grubinger: Ja, Schlagzeug. Es ist wahnsinnig interessant, mit den Menschen dann ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass die Beziehung Stadt-Land die politische Frage der Zukunft sein wird. Wir verlieren am Land Infrastruktur, Ärzte, Supermärkte, Kultur, das schnelle Internet. Attnang-Puchheim ist unser Tor zur Welt, der Zug, der nach Wien zum Flughafen fährt. Aber der Railjet bleibt hier nicht stehen. Für zehntausende Menschen, die hier leben, macht das einen Riesenunterschied. Wie kann man denen das Gefühl geben, dass sie nicht abgehängt werden?
So gut wie alles Neue in der digitalen Wirtschaft ist auf die Stadt konzentriert.
Es gibt hier niemanden, der etwas liefert. Auto oder Fahrrad? Keine Diskussion. Man braucht hier ein Auto. Der Fokus ist sehr urban bei politischen Entscheidungen. Die Politik muss lernen, dass Österreich nicht an der Wiener Westausfahrt endet.
Heimspiel für einen radikalen Musiker
Mit einem viereinhalbstündigen Marathonkonzert im Wiener Musikverein katapultierte sich der 1982 geborene Martin Grubinger ins Licht der Öffentlichkeit. Sein solitischer Zugang zum Orchesterschlagzeug hat seither viel bewegt: Die energetisch überwältigenden, musikalisch und sinnlich ansprechenden Konzerte des Musikers haben der neuen Orchestermusik breite Öffentlichkeit gebracht. Zahlreiche Komponisten haben eigens Werke für Grubinger verfasst, er hat in allen wichtigen Konzertsälen der Welt gespielt. Grubinger vereint hochkomplexe Musik mit sympathischer Ausstrahlung, Lockerheit mit spürbarer musikalischer Ernsthaftigkeit.
Konzert in Linz
Am 16. Juli tritt Grubinger mit dem Percussive Planet Ensemble bei "Klassik am Dom" in Linz zum "Heimspiel 2.0." an. Info unter www.klassikamdom.at
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