Marie Chouinard: "Kunst kann nichts, sie ist einfach"

„The Garden Of Earthly Delights“ am 8. und am 10. August im Volkstheater.
Die Top-Choreografin zeigt bei ImPulsTanz ihre neue Arbeit über Hieronymus Bosch.

Wo Marie Chouinard draufsteht, ist Bewegung und Aufregung drinnen. Sehr viel Bewegung und oft sehr viel Aufregung sogar. Denn die kanadische Top-Choreografin ist seit ihrem Debüt 1978 und der Gründung ihrer eigenen Compagnie im Jahr 1990 einer der Fixsterne am zeitgenössischen Tanzhimmel und sorgt mit schöner Regelmäßigkeit für Furore. Gewiss auch mit ihrer neuen Arbeit "Hieronymus Bosch: The Garden Of Earthly Delights", die sie ab heute, Montag, im Rahmen von ImPulsTanz im Volkstheater präsentiert. Ein Gespräch über Bilder, Ideen und die Kraft der Kunst.

KURIER: Wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit Hieronymus Bosch und dessen vermutlich um das Jahr 1500 entstandenem, dreiteiligem Flügelaltar über Himmel, Hölle und den Garten der Lüste?

Marie Chouinard: Ganz einfach. Man hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zu Bosch und seinen visionären Bildern eine Choreografie zu entwerfen. Und da mich Themen wie Paradies, Hölle, Lust und Bewegung faszinieren, habe ich zugesagt. Und jetzt müssen wir mit dem Ergebnis leben. (lacht)

Also eine reine Auftragsarbeit?

Auch. Wir Künstler müssen schließlich auch von etwas leben, aber bei Bosch war es zudem eine Herzensangelegenheit. Ich könnte nie einen Auftrag annehmen, hinter dem ich nicht stehen kann. Vor ein paar Tagen war Weltpremiere des Stücks. Und ich bin nicht ganz unzufrieden.

Wie hat das Publikum reagiert? Es gibt immerhin sehr explizite Lust-Szenen ...

Sehr gut. Manche Menschen haben am Ende geweint, andere haben gejubelt, andere wiederum sind vorzeitig gegangen. Also so, wie man sich ein mündiges Publikum wünscht.

Marie Chouinard: "Kunst kann nichts, sie ist einfach"
Im Bild: Marie Chouinard. Honorarfrei.

Schmerzt es nicht, wenn es Zuschauer gibt, die mit Ihrer Arbeit nichts anfangen können?

Nein. Wenn ich in ein Museum gehe, kann ich auch selbst entscheiden, bei welchem Bild ich stehen bleibe und bei welchem ich weitergehe. Das ist im Tanztheater nicht viel anders. Gefällt mir die Sprache einer Choreografin, dann gehe ich wieder hin. Gefällt sie mir nicht, dann habe ich immerhin eine Erfahrung gemacht.

Sie glauben also nicht, dass Kunst in jedweder Form den Menschen ändern kann?

Nein. Kunst kann gar nichts, sie ist einfach. Und das war schon immer so. Auch bei Hieronymus Bosch. Wenn ich mir seinen Flügelaltar ansehe, frage ich mich auch immer: Warum tut er das? Eine gute Antwort darauf habe ich bis jetzt nicht gefunden.

Aber müsste Kunst nicht gerade in Zeiten der Krisen, des Terrors auch Antworten auf die brennenden Fragen der Gegenwart geben?

Gegenfrage: Ist unsere heutige Zeit so anders, als jene vor – sagen wir – 500, vor 200, vor 100 oder vor zehn Jahren? Ich denke nicht. Krisen, Krieg und dergleichen hat es immer gegeben und wird es leider immer geben. Könnte die Kunst also wirklich Antworten geben, hätten wir all das Schreckliche ja schon seit Jahrhunderten nicht mehr.

Was kann Kunst dann?

Glücklich machen? Ideen geben? Perspektiven eröffnen? Vielleicht all das zusammen. Wenn ich an eine neue Arbeit herangehe, sehe ich zuerst ein Bild. Das Bild wird zur Idee. Die Idee zur Bewegung. Dann kommt vielleicht noch ein Bild, noch eine Idee. Das flattert alles so um mich herum, ehe es konkrete Formen annimmt. Meine Aufgabe sehe ich darin, aus all den Bildern und Ideen ein großes Ganzes zu machen.

Mit dem Ziel ...

(lacht): ... zu überleben! Darum geht es doch, um das tägliche, auch geistige Überleben. Und dabei kann die Kunst schon helfen. Nur: Die Wunden der Zeit heilen – das geht beim besten Willen nicht. Nicht einmal im Paradies des Hieronymus Bosch.

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