"Manon Lescaut": Am Ende geht es doch um Liebe

Kristine Opolais sprang zwei Wochen vor der Puccini-Premiere für Anna Netrebko ein
Kritik: Jonas Kaufmann brilliert in der klugen „Manon Lescaut“-Deutung von Hans Neuenfels.

Große Sänger und neue szenische Zugänge – das regelmäßige Bemühen um die Vereinbarkeit dieser beiden für den Opernbetrieb so wichtigen Kategorien hatte die Bayerische Staatsoper zuletzt zum "Opernhaus des Jahres" gemacht.

Auch die Neuproduktion von Giacomo Puccinis "Manon Lescaut" beweist die Richtigkeit dieses Weges. Trotz der Absage von Anna Netrebko im Vorfeld, die – das darf man nach der Premiere am Samstag getrost behaupten – zumindest aus szenischen Gründen nicht notwendig gewesen wäre. Netrebko-los machten jedoch ein Altmeister ( Hans Neuenfels) und ein Großmeister (Jonas Kaufmann in Traumform) den Abend zum Triumph.

Zurück zum Original

Neuenfels setzt auf einen ebenso simplen wie genialen Kunstgriff. Er lässt, in den Momenten der Ruhe, Zitate aus der literarischen Vorlage von Abbé Prevost einblenden. Teils lange Textpassagen, die die Geschichte der kapital-fixierten Manon und des von der Liebe verwirrten Des Grieux besser erklären. Im Original (und bei Neuenfels) ist er brutaler als üblicherweise auf den Bühnen gezeigt, auf Ego-Trip, auf der Suche nach dem Sinn. In der Liebe glaubt er ihn zu finden.

Die Inszenierung ist ebenso kalt, entkitscht, ohne Puccini-Pathos wie die schwarz-weiße Bühne (Stefan Mayer). Erst am Ende, ehe Manon in der Wüste stirbt (bei Neuenfels im grellen Neonlicht), scheint Liebe möglich, und die Protagonisten spielen diese zutiefst berührend. Neuenfels misstraut vordergründigen Gefühlen, der Scheinwelt, die uns umgibt – um dann doch als Bilanz einen geradezu romantischen Schlusspunkt zu setzen.

Meisterhaft geht er mit dem Chor um, auch wenn er sich von den Ratten von seinem Bayreuther " Lohengrin" (den Ihr Rezensent gar nicht geschätzt hat) noch nicht ganz getrennt zu haben scheint. Diesmal sind die Choristen eine Mischung aus Clowns mit roten Haaren und ausgestopften Kostümen, angeführt von Edmondo (sehr gut: Dean Power) als Zirkusdirektor, dressierten Tieren und Hofdamen. Neuenfels macht aus ihnen eine anonyme Masse, die wie in der antiken Tragödie das Geschehen kommentiert.

Er schafft die Balance aus Ernsthaftigkeit und Ironie. Spektakulär an seiner Regie ist das Unspektakuläre, Seriöse und gar nicht Provokante. Dass er dennoch ausgebuht wurde, gehört seinesfalls fast schon zum guten Ton.

Neue Maßstäbe

Phänomenal ist Jonas Kaufmann als Des Grieux. Sein baritonales Timbre, seine Gestaltungskraft, seine Phrasierungskunst, seine fabelhafte Höhe – all das passt perfekt zu dieser anspruchsvollen Rolle. Der Tenor mit Stammhaus München ist gerade dabei, mit so gut wie all seinen Partien Interpretationsgeschichte mitzuschreiben.

Kristine Opolais, die Einspringerin für Netrebko als Manon Lescaut, spielt aufopferungsvoll, harmoniert gut mit Kaufmann und agiert am Ende, wenn sie aussieht wie ein Zombie aus "The Walking Dead", völlig uneitel. Stimmlich hat sie in den tieferen Lagen nicht allzu viel zu bieten, in den höheren wird ihr nicht sonderlich großer Sopran rasch schrill. In der großen Münchener Oper stößt sie an ihre Grenzen. Markus Eiche als Lescaut ist ebenso gut besetzt wie Roland Bracht als Geronte.

Allerdings gibt es bei dieser Aufführung ein gewichtiges Manko: Die orchestrale Gestaltung unter Alain Altinoglu lässt sehr viele Wünsche offen, klanglich wie interpretatorisch. Das Niveau auf der Bühne fällt musikalisch in einen tiefen Graben.

KURIER-Wertung:

"Manon Lescaut": Am Ende geht es doch um Liebe
Kristine Opolais als Manon Lescaut, Jonas Kaufmann  als Des Grieux

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