Lüsterne, besoffene Luftballons

Kathleen Ryan: Bacchante (Detail)
Wie lasziv kann Beton wirken? Kathleen Ryans Skulptur im Theseustempel lotet das Material aus

Wenn eine Skulptur im Raum steht, kann man sich ihr gegenüber nicht nicht verhalten, ließe sich in Abwandlung eines bekannten Zitats von Paul Watzlawick sagen: Große und kleine, schwere und leichte, harte und weiche Objekte zwingen zu einer Reaktion, die meist sehr direkt und körperlich verläuft und die von Erhebung bis zum Ekel reichen kann.

Der Theseustempel im Wiener Volksgarten, den das Kunsthistorische Museum (KHM) nun schon im sechsten Jahr mit zeitgenössischer Kunst bespielt, ist ein Testgelände für solche Reaktionen: Die meisten Menschen begegnen den Werken hier eher zufällig (dass sie trotzdem als vollwertige Besucher gezählt werden und so die Statistik des KHM-Verbunds aufpeppen, darf kritisiert werden, soll aber die Legitimität des Kunstprojekts nicht schmälern).

Wer bis 1. Oktober nun also, zufällig oder nicht, den Tempel betritt, sieht sich einer Kaskade aus glänzenden Ballons gegenüber, die auf einem Marmorsockel und vier aufeinander gestapelten Rohren aus Terrakotta drapiert wurden. Die Ballons, die an Edelstahl-Ketten hängen, sind aus Beton gegossen, ihre Masse erscheint aber durch die Form und die Politur teilweise aufgehoben.

Sprechendes Material

Das Werk der US-Künstlerin Kathleen Ryan folgt einer Tradition, die eine Schau im Leopold Museum zuletzt als „Poetik des Materials“ bezeichnete: Physische Eigenschaften und Materialsymbolik zählen hier mindestens so viel wie die Formgebung.

Lüsterne, besoffene Luftballons
Kathleen Ryan: Bacchante (Detail) 2017 Beton, rostfreier Stahl, glasierte Terrakotta, Marmor Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Galerie Josh Lilley, London
Doch im Kontext des KHM geht es stets auch um Bezüge zur alten Kunst, und Ryan, die vor ihrem Abschluss an der Universität von Los Angeles (UCLA) auch Archäologie studierte, nahm sich für das Werk namens „Bacchante“ – es gehört zu einer mehrteiligen Gruppe von Skulpturen – tatsächlich klassische Vorbilder her: Bacchantinnen, die Anhängerinnen des römischen Weingottes, wurden in Antike, Renaissance und Barock gern mit prallen, in Gemälden auch glänzenden Trauben dargestellt, die ihrerseits wieder auf den weiblichen Körper, auf Sinnlichkeit und Sex verwiesen. Mitunter finden sich trunkene Bacchantinnen auch über eine Matratze hängend dargestellt. EinWerk von Hendrick Ter Brugghen (1627) hatte es Ryan diesbezüglich besonders angetan.

Das Arrangement im Theseustempel lässt sich also als ein abstrahiertes Detail lesen, prosaisch formuliert ist es eine monumentale Weintraube aus Beton. Die Künstlerin hat allerdings wohlweislich darauf verzichtet, ihre Vorlagen auszustellen: Die wuchtige Skulptur bloß als Illustration zu sehen, würde deren Wirkung untergraben. Man darf, ja man soll also besser spüren: die Schwere, die Labilität, die Spannung. Wer nichts registriert, ist womöglich selbst aus Beton.

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