Ludwig wollte "nie wieder küssen"

Ludwig wollte "nie wieder küssen"
Das Leben des "Märchenkönigs" Ludwig II. von Bayern kommt in einer bombastischen deutschen Großproduktion ins Kino.

Sein Name ist Legende, sein Leben mythenreich, sein Tod sagenumwoben. Ludwig II. von Bayern, schöner Märchenkönig, kunstsinniger Musikliebhaber und Erbauer fantastischer Schlösser wie Neuschwanstein. Dem Volk schenkte er Geigen anstelle von Gewehren, Richard Wagner rettete er vor dem Selbstmord. Seine Liebe zu Männern unterdrückte er mit katholischer Verbissenheit, später attestierte man ihm Geisteskrankheit. Sein Tod im Starnberger See ist bis heute nicht geklärt – Unfall, Selbstmord oder gar Mord?

Ludwig wollte "nie wieder küssen"
Das Leben Ludwigs II. bietet Stoff für großes Kino. Luchino Visconti inszenierte seinen schönen Helmut Berger als fulminanten Kitschkönig, O. W. Fischer verkörperte den bayerischen Mythos im deutschen Nachkriegsfilm.

Geheimakte

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Großes Kino hat sich auch das deutsch-französische Regie-Paar Peter Sehr und Marie Noëlle zumindest vorgenommen. Einen Batzen Budget – kolportiert werden rund 16 Millionen Euro – ließ die Produktionsfirma springen, um die Welt mit ihrem neuen „Ludwig II.“ (Kinostart: 26. Jänner) zu beglücken. Akribisch wühlten sich die Regisseure durch Archive und nahmen Einblick in die Geheimakten der Wittelsbacher. Acht Jahre waren sie mit Nachforschungen beschäftigt: „Wir verwendeten viele Originale wie Tagebücher, Briefe und Augenzeugenberichte“, sagt Marie Noëlle im KURIER-Interview: „Deswegen wurde unsere Recherche auch außergewöhnlich lang.“
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Manchmal liegt die Würze aber bekanntlich in der Kürze. Nicht so in der Ludwig-Verfilmung, die sich als gediegener Kostümschinken etwas langatmig dahinwälzt. Detailreich erzählen die Regisseure das Leben Ludwigs von vorne bis hinten nach: von der unglücklichen Jugend, dem Tod des Vaters, der raschen Thronbesteigung, seiner Verlobung mit Sophie, der Schwester von Sisi, Kaiserin von Österreich, und der Beziehung zu Richard Wagner: „Ludwig liebte Wagners Musik“, erläutert Peter Sehr: „,Tristan und Isolde‘ war eine Oper, die Wagner viele Jahre lang ins Leben rufen wollte. In vier Ländern scheiterte er, erst in München wurde es Realität. Durch Ludwig ist diese Musik in die Welt hinaus gegangen.“
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Ein echter Meisterstreich gelang den Filmemachern mit der Besetzung des jungen Ludwig: der deutsch-rumänische Schauspieler Sabin Tambrea sieht aus, als wäre er dem Original aus dem Gesicht gerissen. Der Sohn eines Musikerpaares begann mit vier Jahren, Geige zu spielen und befasste sich schon früh mit Wagner: „Das war eine große Hilfe für mich, Ludwig zu verstehen.“ Die Aktualität von Ludwig sieht Tambrea in dessen Nähe zur Pop-Ikone: „Für mich ist Ludwig eine Mischung aus Steve Jobs und Michael Jackson. Das sind Menschen, die uns faszinieren und von denen wir aber wenig wissen, weil sie sich zurückgezogen haben.“

Verehrung

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Was der Blick in die Geheimakten der Wittelsbacher an neuen Einblicken gebracht hat, will Tambrea nicht kund tun: „Es gibt private Sachen von Ludwig, von denen es wichtig war, dass ich sie weiß, damit ich sie zumindest unterbewusst spielen kann. Explizit im Film werden sie aber nicht gezeigt.“

Bei Marie Noëlle und Peter Sehr, die mit ihrer Ludwig-Verehrung nicht hinter dem Berg halten, bleibt der „Kini“ eine von seiner Zeit verkannten Lichtgestalt. Allfällige sexuelle und auch gewalttätige Exzesse mit Stalljungen, die dem König nachgesagt werden, finden sich nicht. Gleich nach dem ersten Kuss mit einem Mann verbietet sich Ludwig jede weitere Form der Sexualität: „Ich finde es herzzerreißend, wenn man in seinem Tagebuch liest ,Nie wieder küssen‘“, bekennt Marie Noëlle gerührt.

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Bei seinem Tod wog der einst so schöne König 160 Kilogramm und hatte keinen Zahn mehr – „ein Anblick, der fast wehtut“, sagt Marie Noëlle. Etwas überraschend taucht daher im letzten Filmdrittel ein neuer Schauspieler als Ludwig auf. Das sei Konzept, sagt Noëlle: „Wir wollten, dass man sich fragt, wohin der junge strahlende Mann verschwunden ist.“

Als man ihm die Rolle des Jahrhundert-Komponisten Richard Wagner anbot, war Edgar Selges erste Reaktion: „Ich bin zu lang. Ich bin kein Sachse. Ich habe keine Hakennase, sondern eine Himmelfahrtsnase. Und ich bin nicht pockennarbig. Also irgendwie stimmt gar nichts.“

Am Ende stimmte bei einem so profilierten Schauspieler wie Selge aber alles. Die kleinbürgerliche Wut war es, die für ihn zum Schlüssel für Wagners Figur wurde. Denn, so Selge, „Kleinbürger bin ich auch, und diese Wut auf alles, was einem so vor der Nase sitzt, und dieser Wille, seinen eigenen Ausdruck zu finden, das alles kann ich sehr gut nachempfinden.“

Edgar Selge, einem großen TV-Publikum besonders aus „Polizeiruf 110“ bekannt, zeigt Richard Wagner, wie man ihn weniger kennt: als Revolutionär, der das Dresdner Schloss anzündete, steckbrieflich gesucht wurde, verschuldet war und sich vor den Behörden verstecken musste. „In dem Augenblick, in dem Wagner von Ludwigs Gesandten gefunden wurde, stand er praktisch am Ende seines Lebens“, erzählt Selge. Ludwigs Bereitschaft, Wagner zu unterstützen und ihm die Voraussetzung für seine Arbeit zu schaffen, kam wie ein „Gottesgeschenk“.

Vater-Sohn-Beziehung

Bei Peter Sehr und Marie Noëlle verbindet Wagner mit Ludwig eine innige Vater-Sohn-Beziehung. „Wagner steht mit beiden Beinen in Leben und weiß, dass alles auf der Bühne geschieht und nicht im wirklichen Leben“, so Selge: „Sein Gegenpol Ludwig ist so fasziniert von Wagners Nibelungen, Tristan und Lohengrin, dass er diese Bühnenwirklichkeit seiner eigenen Wirklichkeit vorzieht. Das sind höchst unterschiedliche Lebenseinstellungen. Aber die Emotionalität zwischen den beiden stimmte.“

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