"Les contes d’Hoffmann": Überzeugende Premiere

"Les contes d’Hoffmann": Überzeugende Premiere
Kritik - Im zweiten Anlauf dann doch überzeugend: Unter der Regie von Roland Geyer feierte Offenbachs "Les contes d’Hoffmann" Premiere im Theater an der Wien.

Einen Oscar wird Roland Geyer für seine Interpretation von Jacques Offenbachs Oper "Les contes d’ Hofmann" zwar nicht bekommen, einen echten Oscar-Preisträger (William Friedkin) aber stellt der Intendant und Neo-Regisseur locker in den Schatten.

Zur Erinnerung: Im März dieses Jahres hatte Offenbachs Meisterwerk an der Wien in der Friedkin-Regie seine völlig missglückte Premiere. Es kam zum Streit zwischen Geyer und Friedkin; das Theater an der Wien trennte sich vom US-Regisseur. Geyer selbst sprang innerhalb kürzester Zeit ein.
Und siehe da, plötzlich funktioniert das Werk. Denn Geyer (Regie-Mitarbeit: Rainer Vierlinger) und Ausstatter Herbert Murauer haben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Zum Glück. Weg ist die überdimensionierte Olympia-Puppe, weg ist das peinliche Venedig-Tableau, fast weg ist Friedkins Show-Treppe. Und der im März noch mit einem Auftritt bedachte Kleinzack sitzt jetzt dekorativ im Käfig. Kürzer ist das Stück auch. Einige Unarten der vorherigen Fassung (die "Spiegelarie" steht jetzt wieder im Giulietta-Akt) wurden korrigiert.

Fundus

Denn Geyer hat aus der Not eine Tugend gemacht und schlicht und ergreifend auf den Fundus des Hauses zurückgegriffen. So ist der gewohnt exzellente Arnold Schoenberg Chor in Kostüme aus diversen Produktionen der vergangenen Jahre gekleidet, so träumt Antonia von einer Karriere als Sängerin an der Wien. Projektionen machen dies möglich.

Auch zu den Personen hat sich Geyer sichtlich etwas überlegt. Erstens sind alle vier Hoffmann-Frauen eine einzige, zweitens hat jede dennoch genug Eigenleben. So ist die Puppe Olympia eine dumme Model-Tussi der Marke Casting-Show, so ist Giulietta wirklich eine sexy-gefährliche, teils bewusst ordinäre Hure. Antonia wiederum ist eine Gefangene zwischen Kunst und Bürgertum. Stella bleibt Stella, die Hoffmann wahrhaftige Liebende, an dessen Manien jedoch Zerbrechende.

Gigantin

Dass dieses Konzept so gut aufgeht, liegt vor allem an Marlis Petersen, die alle vier Frauenrollen interpretiert. Besser: Petersen interpretiert nicht. Die deutsche Sopranistin lebt diese Charaktere förmlich aus, ist ihnen auch stimmlich perfekt gewachsen. Petersen hat die Höhen und Koloraturen für die Olympia, die Lyrismen für die Antonia, das vokal Satte für die Giulietta. Eine grandiose Leistung.

Aber: Auch der Hoffmann in dieser Produktion– Geyer zeichnet diesen als saufenden Psycho samt Verfolgungswahn – fällt kaum ab. Der junge Tenor Arturo Chacón-Cruz hat die geforderten Spitzentöne (etwa bei der "Kleinzack-Arie"), den nötigen Schmelz und ein schönes Timbre. Erst gegen Ende kämpft der Mexikaner gegen vokale Ermüdungserscheinungen. Als Typ ist er ohnehin optimal besetzt.

Bleibt John Relyea, der alle Bösewichte verkörpert. Sein markanter, herber Bassbariton ist dafür prädestiniert. Relyea punktet weniger mit Schöngesang, denn mit bedrohlicher Schwärze. Ganz neu gezeichnet ist die Rolle der Muse. In Geyers Interpretation ist und bleibt sie immer eine Frau. Eine, die Hoffmann liebt, ihn letztlich (auch sexuell?) tröstet. Roxana Constantinescu – sie war schon im März bei Friedkin dabei – hat sich inzwischen freigespielt und freigesungen; ihre nicht allzu große Stimme passt an das Haus. Meist gut besetzt sind die zahlreichen Nebenfiguren.

Bleibt ein großes Manko: Der Dirigent heißt leider immer noch Riccardo Frizza und liefert am Pult der an sich willigen und gut geprobten Wiener Symphoniker nur eine mittelmäßige Leistung. Dass Frizza zwar besser als noch im März ist, ist leider keine große Kunst.

Fazit: Doppelt hält offenbar doch besser

Werk Offenbachs "Les contes d’ Hoffmann" wurde 1881 in Paris uraufgeführt. An der Wien orientiert man sich an der Fassung von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck.

Regie
Sehr ordentlich, in vielen Details sogar extrem klug.

Gesang
Marlis Petersen brilliert; das Ensemble ist sehr gut.

Dirigat
Leider immer noch massiv ausbaufähig.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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