Leonard Cohen: Pop im Wiegeschritt

epa03420198 Canadian singer and composer Leonard Cohen, performs during his concert at Palau Sant Jordi in Barcelona, Spain, 03 October 2012. EPA/ALBERT OLIVE
Weltschmerz-Poet Leonard Cohen in Topform auf Tour - im Juli in der Wiener Stadthalle.

Salle de Bercy. Dienstag in Paris. Start der „Old Ideas“-Europatournee von Leonard Cohen, der am 27. Juli auch in die Wiener Stadthalle gastieren wird.

Standing Ovations und minutenlanger Applaus in der mit 17.000 Besuchern ausverkauften Halle noch vor dem Opener „Dance Me To The End Of Love“.

Fast drei Stunden

Der 78-jährige Kanadier lüftet den Hut, lächelt milde, wirkt topfit und erstaunlich bewegungsfreudig. Der Melancholiker alter Schule öffnet seinen Liederkoffer und hält Hadern aus 40 Jahren wieder ans Licht. Seine „golden voice“ trägt sie mit frischem Firnis durch die Welt.

Was für ein Glück: Denn welcher andere Herr seines Alters könnte mit dieser Grandezza, wie sie nur Veteranen aus alten Schlachten gegeben ist, über Liebe und Sehnsucht singen, ohne peinlich zu sein?

Auf „The Future“, einer düsteren Prophezeiung all der Katastrophen, die mittlerweile eingetreten sind, folgt mit „Bird On The Wire“ ein Herzkratzerl erster Güte.

Die Orgel fährt ins Gemüt zur Kellerstimme, die so alt klingt wie die Zeit. Fortan regiert der Wiegeschritt des Pop den Abend. Anderswo wird man vom Heavy Metal durchgeprügelt oder vom Rap durchgeschüttelt.

Hier schunkeln wir wie Gefangene im „Tower of Love“ zu einem Sound, der schmeckt wie flüssige Bitterschokolade – und der oft verlässlicher Begleiter war auf Reisen in die Nacht.

Poet der leisen Töne

„Ain’t No Cure For Love“ brummt der letzte große Erotomane der Songkultur. Und greift zur Maultrommel bei „Democracy Is Coming To The USA“, seinem Zorn- und Spottlied auf das amerikanische Politbüro: „I love the country, but I can’t stand the scene“.

„Europäer schätzen Leute, die nicht singen können, deren Stimme aber mit dem Herzen verbunden ist“, weiß Cohen und tritt uns jetzt mit der sanftmütigen Weisheit eines älteren Herrn entgegen. Mit „Hallelujah“ und allem Drum und Dran.

„A lazy bastard“

Allzu viel Neues will er uns nicht aufdrängen. Aber Neues will vom Songpoeten sowieso keiner hören.

Außer vielleicht „Going Home“ bei den Zugaben: „I love to speak with Leonard“, intoniert er da mit einem Augenzwinkern. „He’s a lazy bastard living in a suit“.

Das Alte ist allemal zum Weinen schön – und dazu geeignet, knietief in Melancholie zu waten. Oder sich die Pulsadern aufzuschneiden. Oder den Sound für Schmusestunden abzugeben.

Nach der Pause klimpert Cohen zum berühmten „Tower of Song“ ein bisschen auf einem Keyboard. Bei „I’m Your Man“ ändert er den Text: „I’ll wear an old man’s mask for you.“

Er trägt diese Maske mit Eleganz, mit Nonchalance. Ein Charmeur breitet seine nackte Seele vor den hungrigen Zuhörern aus. Mit sympathischer Selbstironie. Und zu „Everybody Knows“ ertönt ein Zwischenruf ungebremsten weiblichen Entzückens: „I love you, Leonard.“

Understatement

Klassiker wie „Suzanne“ oder „So Long, Marianne“ erinnern daran, wie leicht und selbstverständlich ihm einmal die schönsten Melodien, die zärtlichsten Textzeilen zur Verfügung standen, bevor mit der Reife und so manchem Zipperlein sich auch die Weisheit einstellte, die jetzt Cohen und sein Werk durchweht. Und er? Er zieht immer wieder den Hut vor seinen sieben Musikern, dem Dreier-Frauenchor und dem Publikum. Während seine Musik im heiligen Schein des inneren Friedens erblüht. „And here’s a man ... still working for your smile.“

Info: Leonard Cohen live in Österreich: 27. 7. Wiener Stadthalle

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