Lars Eidinger: "Ich bin noch nie gestorben"

Interview mit dem deutschen Schauspieler Lars Eidinger
Schauspieler Lars Eidinger über Herausforderungen, Kunstschweiß und Muskelkater.

Lars Eidinger gehört zu den gefragtesten Bühnen-Schauspielern Deutschlands. Seit er in Maren Adens hervorragenden Generationenporträt "Alle anderen" mit Birgit Minichmayr ein Zeitgeist-Pärchen spielte, reißt sich auch die Filmwelt um ihn.

Im Drama "Familienfest" von Lars Kraume (derzeit im Kino) ist er der todkranke Filmsohn von Hannelore Elsner.

KURIER: Sie spielen einen von drei Söhnen, die sich anlässlich des 70. Geburtstages ihres tyrannischen Vaters treffen und zerfleischen. Was hat Sie an der Rolle interessiert?

Lars Eidinger: Gar nicht so leicht zu sagen. Es gibt ja Schauspieler, die sind total picky (wählerisch, Anm.) und stehen jedem Drehbuch erstmal skeptisch gegenüber. Bei mir ist das andersrum. Ich bin eher verführt, mir Drehbücher schön zu lesen. Ich entscheide nach dem Lustprinzip und bin generell verführt alles zu machen, was mir angeboten wird. Ich mach’ ja den Beruf, weil er mir Spaß macht. Und wenn ich ein Drehbuch zugeschickt bekomme, denke ich erstmal: "Hoffentlich gefällt’s mir, dann kann ich einen neuen Film drehen." Ich habe aber auch das Gefühl, dass sich die Angebote, die ich bekomme an dem Niveau der Filme orientieren, die ich bisher gemacht habe. Irgendeinen Scheiß bekomme ich gar nicht erst angeboten. Bei "Familienfest" war mir aber sofort klar, dass das ein außerordentlich gutes Drehbuch ist. Vor allem aber hat mich die Besetzung und nicht zuletzt der Regisseur Lars Kraume überzeugt.

Ihre Figur leidet an einer tödlichen Krankheit. Wie schwierig ist das zu spielen?

Es ist eines der schwersten Sachen, todkrank zu spielen. Viele andere Dinge habe ich ja selbst erlebt und kann mich daran orientieren: Wie das war, als ich verliebt war, mich mit meiner Partnerin gestritten habe oder verlassen wurde. Man profitiert von Erlebnissen, die man selbst hatte. Aber ich war nie todkrank und ich bin auch noch nie gestorben. Das fand ich eine Herausforderung.

Sie sehen im Film stark mitgenommen aus, mit verschwitztem Gesicht – richtig krank, eben. Wie machen Sie das?

Ich bin kein Fan von Kunstschweiß. Ich schäme mich, wenn ich einen Tränenstift benutze, und habe es noch nie gemacht. Es käme mir vor, als ob ich betrügen würde. Deswegen habe ich mir für den Schweiß auf der Stirn einen Heimtrainer ans Set gestellt. Das war gar nicht so einfach zu organisieren, denn es dauert, bis man ins Schwitzen kommt. Und beim Film wollen ja immer alle schnell weiterdrehen. Man muss also zwischen den Szenen immer sofort auf den Heimtrainer springen, radeln, und dann nicht außer Atem sein, denn man soll ja nur schwitzen. Und so habe ich das gemacht. Am nächsten Tag hatte ich dann einen tierischen Muskelkater von der Treterei.

Sie spielen sehr viel Theater – zur Zeit " Richard III." an der Berliner Schaubühne. Was ist Ihnen lieber? Film oder Theater?

Ich fühl’ mich im Theater sicherer, weil ich mehr Erfahrung damit habe. Und so blöd es klingt, durch den direkten Kontakt mit dem Publikum weiß ich, woran ich bin. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber einschläft oder abgelenkt ist, irritiert mich das und ich versuche, es zu ändern. Im Theater kann ich das, beim Film habe ich keinen Einfluss. Wenn im Kino irgendwer sagt: "Ich hab jetzt Lust auf Popcorn und geh’ raus", dann kann ich nichts ändern.

Und im Theater schon? Da reden Sie mit dem Publikum?

Ja, wobei die Leute dann glauben, ich mache das, um sie zu provozieren, aber das ist ein Missverständnis. Ich mache es, um ihnen ein intensiveres Erlebnis zu verschaffen. Die Leute sitzen im Theater und denken: "Der spielt da vorne, und wenn ich jetzt rausgehe, kriegt er das nicht mit." Aber ich erinnere sie daran, dass nicht nur sie mich, sondern auch ich sie sehe. Und ich frage von der Bühne: "Hey, wo gehst du hin?" Dann fühlen sich die Leute persönlich gemeint und das ergibt ein anderes Gefühl beim Zuschauen. Das ist eine Spielweise, die ich für mich entwickelt habe.

Können Sie das erklären?

Der Zuschauer soll nicht den Eindruck haben, das alles, was auf der Bühne passiert, zu 100% verabredet ist. Ich versuche, so zu spielen, als würde es in diesem Moment erstmals stattfinden. Das ist wie bei Kindern und Hunden: Beide ziehen die volle Aufmerksamkeit auf sich, weil man bei ihnen das Gefühl hat, es könnte etwas Unvorhersehbares passieren. Genau so versuche ich auch zu spielen.

Wie stellen Sie diesen unberechenbaren Moment im Kino her?

Ich sage dann Sätze, die nicht im Drehbuch stehen. Man merkt dann sofort, wie sich die Atmosphäre ändert – beim Kameramann, bei der Scriptfrau, beim Spielpartner... Wenn mich mein Partner fragt: "Wie geht es dir?" und im Drehbuch steht "gut", aber ich antworte: "Schlecht", dann ist es interessant zu sehen, was dann passiert.

Sind Sie da bei Ihren Kollegen nicht gefürchtet, wenn Sie einfach den Text ändern?

Nein, ich bin ein sehr beliebter Rollenpartner, wirklich. Ich bekomme immer gutes Feedback von meinen Kollegen, und dass sie gerne mit mir spielen. Aber natürlich gibt auch solche, die sich über mich beschweren. (grinst)

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