"La Traviata" kommt mit Natalie Dessay

Kritik - "La Traviata" aus Aix-en-Provence kommt im Oktober an die Wiener Staatsoper. Natalie Dessay ist eine beeindruckende Violetta.

Mit entrücktem Blick, wie eine Schlafwandlerin, schreitet sie immer wieder zum Orchestergraben. Und immer wieder wird sie vor ihrem letzten Schritt, der in die Tiefe führen würde, zurückgehalten. Zum Schluss aber kann sie niemand mehr halten, sie bricht tot zusammen: Natalie Dessay ist im Théatre de l'Archeveché, beim Festival in Aix-en-Provence, eine beeindruckende Violetta.

In Giuseppe Verdis "La Traviata", einer Koproduktion, in der sie ab 9. Oktober auch an der Wiener Staatsoper zu sehen sein wird, ist sie eine zarte, zerbrechliche Titelheldin. Aber auch quirlig spielfreudig und immer emotional ungemein berührend. Sie betört mit feinsten Piani, perfekten Koloraturen, sicheren (nur ganz selten etwas angestrengt wirkenden) Spitzentönen und großer Innigkeit. Einzig ihren dramatischen Ausbrüchen fehlt es etwas an Substanz.

Starke Stimmen

Ihr geliebter Alfredo ist der junge Amerikaner Charles Castronovo, der über einen schönen, baritonal gefärbten Tenor und mühelose Höhen verfügt. Ludovic Tézier ist als Giorgio Germont mit seinem kräftigen, warmen und edel timbrierten Bariton geradezu eine Idealbesetzung. Die vielen kleinen Partien sind alle gut besetzt. Sehr witz- und spielfreudig sowie gut bei Stimme ist der Estonian Philharmonic Chamber Choir.

Louis Langrée weiß am Pult des London Symphony Orchestra viele dynamische und emotionale Nuancen von Verdis eingängiger und populärer Melodik im Orchester aufregend auszureizen. Mal abgesehen von einigen sehr zurückgenommenen Stellen.

Zwar ist die Idee gewöhnungsbedürftig, die Geschichte der Kameliendame teilweise Backstage in einer schicken Künstlerclique mit viel konstruierter Bewegung und Auf- und Abgängen durch den Zuschauerraum ablaufen zu lassen. Aber Jean-Francois Sivadier hat sehr durchdacht inszeniert: Ausgefeilt mit vielen kleinen, auch berührenden Details.
Etwa wenn sich Violetta im letzten Bild immer wieder in das Sakko des Alfredo schmiegt.
Schade nur, dass die stark reduzierte Kulisse (Alexandre de Dardel), die karge, triste, schwarze Ziegelmauer mit nur einigen Tischen, Stühlen und Kristalllustern und immer wieder auf- und abgezogenen Wolken- und Wiesenprospekten viel an Stimmung raubt.

KURIER-Wertung: **** von *****

Pressestimmen: "Fragiles Vögelchen"

Durchwegs einig ist sich die internationale Presse, dass die Hauptdarstellerin, die französische Sopranistin Natalie Dessay, in der "Traviata" überrascht. Ihre Fragilität wird aber unterschiedlich bewertet: "Aix und die Traviata misslingen Natalie Dessay", lautete das harsche Urteil des Le Monde-Kritikers: Die Violetta sei "zu schwer" für die Dessay, die durch die Rolle geradezu "gekreuzigt" werde.

Deutlich milder der Figaro: Die Traviata sei "außerhalb der Norm", Dessays Vortrag sei durch ihre "Verletzlichkeit und ihr Engagement" geradezu "aufwühlend". Diese Traviata überzeuge nicht restlos, werde aber zweifellos in Erinnerung bleiben - als einmaliges Festival-Ereignis. Das Dirigat sei zu diskret, die Inszenierung sei der fragilen Hauptdarstellerin Dessay geradezu auf den Leib geschrieben. Wie aber "soll das als Repertoire-Inszenierung funktionieren?"

Der Befund der Financial Times: Dessays Violetta sei die Antithese zu den "munteren Sopranistinnen, die aussehen, als seien sie eher an zu vielen Schokolade-Eclairs gestorben als an Auszehrung." Sie beginne als "fragiles Vögelchen" und ende als "kaputte Stoffpuppe".

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