Kunstraub: Die Nachwehen der Revolution

Kunstraub: Die Nachwehen der Revolution
Ein Jahr nach der Plünderung des Ägyptischen Museums in Kairo sind noch immer viele Kunstschätze verschwunden, erklärt Generaldirektor Sayed Hassan.

Es ist nicht so einfach, zu Sayed Hassan vorzudringen. In den katakombenartigen, gedrungen-dunklen Räumlichkeiten der Verwaltung des Ägyptischen Museums wimmelt es nur so von Leuten. Wächter, Beamte, Besucher – es ist ist nicht ganz klar, wer wer ist. Auskunftsfreudig sind sie alle nicht. Bis ich Frau Fatma, die Sekretärin des neuen Direktors des Ägyptischen Museums, ausfindig gemacht habe. „Ja“, sagt sie, „mein Direktor erwartet Sie“, und führt mich in ein kleines finsteres Büro mit vergitterten Fenstern. Es erinnert sofort daran, dass das Ägyptische Museum auf dem Tahrir-Platz steht – im Brennpunkt der Arabischen Revolution, wo sich auch heute mitunter noch Zehntausende nach dem Freitagsgebet zu Demonstrationen versammeln.

Rückblick auf die Nacht des Zorns am 28. Jänner des Vorjahres: Damals nutzen Diebe den Tumult und dringen ins Schatzhaus auf dem Midan Tahrir ein. Sie zertrümmern 13 Vitrinen, beschädigen mehr als 70 Objekte, darunter Preziosen aus dem berühmten Grabfund Tutanchamuns. Eine vergoldete Statue benutzen die Räuber als Keule, um Scheiben einzuschlagen. Die Demonstranten vom Tahrir verhindern Ärgeres und rufen das Militär. Keines der Ägyptischen Museen ist versichert.

"Die Touristen bleiben aus"

Kunstraub: Die Nachwehen der Revolution

Inzwischen hat der Louvre von Ägypten längst wiedereröffnet: Beim Rundgang wirkt das Museum noch ungeordneter und ungepflegter als zuvor.
Und menschenleer.

Generaldirektor Sayed Hassan ist also unglücklich: Vor der Revolution haben täglich an die 10.000 Besucher die berühmte Sammlung besucht, heute sind es an guten Tagen 2500. Im KURIER-Interview erzählt er, was seit den Plünderungen vor gut einem Jahr wieder aufgetaucht ist, was fehlt und wie die wissenschaftliche Forschung weitergehen soll.

KURIER: Wie geht es Ihnen und den Kunstschätzen, über die Sie wachen – ein Jahr nach der Revolution?
Sayed Hassan: Plünderer haben damals bekanntlich 54 Stücke aus dem Museum gestohlen. 27 haben wir zurückbekommen, aber weitere 27 sind noch immer verschwunden. Der zweite Punkt, der uns zu schaffen macht, sind die ausbleibenden Touristen. Vor der Revolution hatten wir an guten Tagen 10.000, manchmal sogar 12.000 Besucher. Heute sagen wir, es ist ein guter Tag, wenn 2500 kommen. Die Lage hat sich aber gebessert. Vor einigen Monaten kamen kaum 1000.

Glauben Sie, dass Sie die Stücke, die Sie vermissen, je wiedersehen werden?
Durchaus. Weltweit schützen Gesetze diese Kunstschätze. Tauchen Stücke, die in unseren Büchern verzeichnet sind, in Auktionen auf, dürfen sie nicht verkauft werden, sondern müssen an uns retourniert werden.

Sind unter den fehlenden Stücken auch berühmte?
Ja, zum Beispiel eine Statue von Pharao Tutanchamun, der auf einer Barke steht.

Wie schaut es mit wissenschaftlichen Arbeiten im Museum aus? Vor einiger Zeit wurden DNA-Analysen an Königsmumien durchgeführt. Ist angesichts der instabilen Lage an die Fortsetzung der Arbeiten zu denken?
Wir mussten die Arbeiten stoppen – es ist zu unsicher. Vielleicht können wir nach den Wahlen weitermachen. Ich habe da einige Mumien aus Luxor im Sinn, die ich gerne herbringen würde, um Proben zu nehmen, DNA-Analysen und CT-Scans durchzuführen.

Derzeit stehen die Geräte also ungenutzt herum?
Ja, an manchen Tagen müssen wir das Museum früh schließen, weil es draußen so unruhig ist. Vielleicht nach den Wahlen ... für diese Art von Untersuchungen brauchen wir Ruhe – und Geld. Beides haben wir derzeit nicht.

Das Museum steht auf dem Tahrir-Platz, dem Zentrum der Proteste. Das ist ein Problem?
Ja, unlängst waren 700.000 Leute da draußen – Demonstranten, Islamisten, Verrückte. Einige kommen zum Spaß, tanzen und singen. Ich habe das Museum um 13 Uhr geschlossen. Danach kommen ohnedies nur wenige Touristen. Bis Mittag ist es immer sicher.
Meine Hauptsorge gilt aber dem Museum selbst. Ich bin mit Unterbrechungen seit 1980 hier. Das ist mein Museum.

Wie schützen Sie Ihr Haus?
Wir haben unser Security-Team von 70 auf 186 Leute aufgestockt, die das Haus rund um die Uhr bewachen. Wir haben neue Kameras und ein neues Feueralarm-System installiert. Denn während der Revolution haben Verrückte Brandsätze ins Museum geworfen. Außerdem haben wir die eiserne Außentreppe, über die die Plünderer im Vorjahr aufs Dach kamen und ins Museum eindringen konnten, entfernt. So etwas kann sicher nie wieder passieren.

Revolution und Raub: Interpol fahndet nach 271 Stücken

Früher jagte Tutanchamun mit der Harpune Nilpferde. Doch dann fiel er einem Verbrechen zum Opfer: Am Tatort blieben nur seine Füße zurück. Seinen Körpers haben Diebe abgebrochen und verschleppt. Seitdem fahndet Interpol nach der Figur.
Kunstraub wird in Revolutionsländern wie Libyen und Ägypten immer mehr zum Problem. Der Gesamtbestand von aus Ägypten gestohlenen Kunstgegenständen in der Interpol-Datenbank beträgt 271 Stück.
Die Chancen, gestohlene Objekte wiederzubekommen, seien gering, denn Interpol kann nur ermitteln, wenn die Objekte genau dokumentiert sind. Und diese Arbeit wird selbst in namhaften Museen vernachlässigt.

Hintergrund: Das Ägyptische Museum in Kairo

Kunstraub: Die Nachwehen der Revolution

Alles begann mit Plünderungen: 1835 gründete die ägyptische Regierung den „Service des Antiquités de l’Egypte“, um Schatzsuchern das Handwerk zu legen. Langsam entstand die erste Sammlung ägyptischer Kunstwerke, für die vor mehr als 110 Jahren das Museum am Tahrir-Platz erbaut wurde. Am Anfang beherbergte es ungefähr 8000 Stücke. „Heute haben wir mehr als 160.000“, sagt Generaldirektor Sayed Hassan. Das Ägyptische Museum in Kairo ist damit das weltweit größte Museum für altägyptische Kunst.
Dort finden sich attraktive Stücke, wie etwa jene aus dem Grab von König Tutanchamun, das 1922 im Tal der Könige entdeckt wurde. Sayed: „Wir haben mehr als 100 Mumien. Das Museum ist vollgestopft mit Objekten.“ Daher kam vor einigen Jahren die Idee auf, neue Museen zu errichten – eines davon wird in Gizeh gebaut. Vieles soll dorthin – ins Grand Museum – ausgelagert werden. So es denn irgendwann fertig wird.
„Im Ägyptischen Museum sollen nur 8000 Stücke – wie am Anfang – bleiben“, sagt Sayed. Und ergänzt: „Vielleicht behalten wir die Stücke hier, mit denen das Museum
eröffnet wurde. Etwa Statuen von Pharao Cheops, Ramses II., Kephrem. Die Mumien und der Schatz des Tutanchamun sollen jedenfalls ins Grand Museum.“

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