Kunst, ungezuckert für immer haltbar
„Grüß Gott, lieber Gott.!“ schrieb August Walla auf eine seiner Zeichnungen. Seine Punktsetzung („.!“) wirkt heute wie eine Signatur: Die Schriftzüge und Figuren, mit denen der 2001 verstorbene Klosterneuburger auch sein Zimmer im „Haus der Künstler“ in Maria Gugging/NÖ füllte, sind stets sofort zu erkennen. Walla, einst Patient einer Nervenklinik, ist heute Star einer Kunstgattung, die man Art Brut nennt.
Das besagte Blatt hängt in der Ausstellung „Psycho Drawing“ im Linzer Lentos Museum: Anhand der Sammlung von Leo Navratil, dem Begründer des Gugginger Künstler-Zentrums, wird der Einfluss von Walla und anderen auf Österreichs Kunst der 1970er nachvollzogen.
Große Wirkung
Die Ausstellungen sind eine einmalige Gelegenheit, Ursprung und Wirkungsgeschichte der Art Brut an herausragenden Beispielen zu studieren. Doch es stellen sich auch viele Fragen: Waren die Sammelzüge, die Dubuffet einst durch Nervenheilanstalten unternahm, nicht auch Beutezüge auf Kosten von Menschen, die über ihre Hervorbringungen nicht frei verfügen konnten? Inwieweit ist das Prinzip, wonach Vertreter der Art Brut völlig unbeeinflusst Kunst schaffen, haltbar? Ist der Begriff für zeitgenössische Kunstproduktion brauchbar, oder sollte man ihn – wie etwa die Pop-Art – als historische Kunstströmung abheften?
Problematisch findet Reese, dass Künstlern eine Kategorie übergestülpt wird: „Sobald man sagt: ,Ich bin Art-Brut-Künstler‘, ist man keiner mehr, denn dann ist man zu reflektiert“, sagt er. „Man ist eben nicht mündig und kommt in diese scheinbar zeitlose Schublade.“
Für Johann Feilacher, der als Nachfolger Leo Navratils das „Art Brut Center Gugging“ zur internationalen Institution ausbaute, ist der Begriff dagegen weiter legitim. Denn es gebe eben großartige Kunst ,die „ohne intellektuellen Vorbau“ entstehe.
Ohne Entwicklung?
Trotzdem bleibt die Grenzziehung zwischen reiner Kreativität und Kunst, die auf Vorgängern aufbaut, schwierig. Künstler Oswald Oberhuber kritisiert etwa in einem Video in der Linzer Schau, dass sich Art Brut formal kaum weiterentwickle und daher dem professionellen Kunstschaffen nicht ebenbürtig sei.
Florian Reese vom Atelier 10 findet auch den Umkehrschluss unsinnig: „Das wäre so, als wenn der akademische Künstler nur aus der Retorte produzieren würde und der wahre Künstler nur der ist, der in sich geschlossen arbeitet. Warum brauchen wir das? Lassen wir es einfach Kunst sein.“
Info: Ausstellungen und Institionen
Psycho Drawing Bis zum 11. Juni zeigt das Lentos Museum Linz, das ab 1980 bedeutende Bestände von Leo Navratil erwarb, den regen Austausch österreichischer Maler mit Künstlern aus Gugging.
Jean Dubuffets Art Brut.! Bis 1. Juli zeigt das Museum Gugging 168 Werke aus der Sammlung, die Jean Dubuffet zwischen 1945 und 1949 begründet hatte. Am 26. 4. hält Johann Feilacher einen Vortrag über „Art Brut vor der Art Brut“.
Atelier 10: Die Einrichtung in der Ankerbrot-Fabrik eröffnet am 26. 4. (19 Uhr) eine Schau von Katharina Kleibel und Franza Maier. Di.–Fr., 10–16.30 Uhr.
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