Krokodilstränen und Abschiedslieder
Für das, was nach dem Ende kommt, gibt es zwei Varianten: Entweder, man glaubt an Gott und kann getrost auf dessen weitere Vorgangsweise vertrauen. Wenn nicht, muss man die Gestaltung der letzten Stunden selbst in die Hand nehmen.
Wesentlich dabei ist, wie man in Erinnerung bleiben will, und so gibt es Menschen, die ihren Nachruf selber schreiben, zuletzt etwa US-Schauspieler James Rebhorn ("Homeland"). Andere wiederum erfahren, frei nach Mark Twains Motto "Nachrichten über meinen Tod sind stark übertrieben", aus den Medien vom eigenen Tod. Passieren kann so etwas, weil Tageszeitungen Nachrufe wichtiger Persönlichkeiten auf "Vorrat" schreiben: Apple-Mitgründer Steve Jobs las bereits drei Jahre vor seinem Tod von seinem Ableben, und der italienische Lyriker Eugenio Montale stieß einst im Corriere della Sera auf seinen eigenen "Coccodrillo", wie man im Italienischen zum Nachruf sagt, angelehnt an das Wort für Krokodil. Eine interessante Redensart, denn bei uns verbindet man mit dem Ausdruck Krokodilstränen geheuchelte Trauer.
Ob echte oder vorgespielte Trauer, der Nachruf ist eine besonders im anglosächsischen Raum ausgeprägte Tradition. Die New York Times etwa hatte mit Alden Whitman einen eigenen "Obituary"-Schreiber, der rührende Nachrufe verfasste und Interviewpartner bereits zu deren Lebzeiten nach passenden letzten Worten fragte.
Alle tot
Ideengeber war die 100 Jahre alte Reihe "Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog", auf die Baranyi und Thiel bei Recherchearbeiten stießen. "Bezeichnenderweise war die Reihe von einem Wiener herausgegeben. Sie erheiterte uns sehr," erinnert sich Baranyi.
Nebst Erheiterung hat die Sache auch einen wissenschaftlichen Hintergrund: "Wir knüpfen an eine literarische Gattung an, die von der antiken Funeralrethorik über das Barock und die Klassik immer dem ,De mortuis nihil nisi bene‘ (Von Verstorbenen soll man nur in guter Weise sprechen, Anm. ) verpflichtet war. Das konnten und wollten wir mit unserem Buch nicht einlösen. Wir wollten das Leben unserer Protagonisten immer mit Blick auf deren Tod darstellen, der oft banal, lächerlich, grausam oder trist ist, und oft im krassen Gegensatz zur biografischen Erfolgsgeschichte steht."
Ausschlaggebend für die Auswahl waren neben der Lebensgeschichte also auch die Umstände des Todes. Etwa, dass Marvin Gaye von seinem Vater erschossen wurde. "Eine Geschichte, die schon Sophokles gereizt hätte. Und sie hat den Vorzug, wahr zu sein."
Menschen, die auf dieser Welt zumindest keinen schlechten Eindruck hinterlassen wollen, widmen die Publizisten Wolfgang Pollanz und Wolfgang Kühnelt nun ihr Trauermusik-Handbuch "Das letzte Lied" (Milena, 18,90 €) – das passenderweise im Tanzcafé Jenseits vorgestellt wurde. Keinesfalls, finden die Autoren, sollte man die Gestaltung seines eigenen Begräbnisses den Nachkommen überlassen.
Ernst Molden, Linda Stift, Boris Bukowski oder Fritz Ostermayer nennen Klassiker wie Leonard Cohen, Bob Dylan und Lou Reed. Erfrischend trotzig in Anbetracht der Tatsachen ist der Wunsch nach Nirvanas "Smells like Teen Spirit", von Musikkritiker Gerhard Stöger ins Treffen geführt, übertrumpft jedoch von "All Tomorrow’s Parties" von Velvet Underground. Ähnlich realitätsverweigernd ist Austrofreds Plädoyer für Queen "The Show must go on" (am Ende wählt er Georg Danzers "Weiße Pferde").
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