Konstantin Wecker: "Es wird weiter revoluzzt!"

APA11918540 - 15032013 - WIEN - ÖSTERREICH: Liedermacher Konstantin Wecker am Freitag, 15. März 2013, während eines Interviews mit der Austria Presse Agentur (APA) in Wien. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Konstantin Wecker über "Wut und Zärtlichkeit", seine eigene Wut und gesellschaftliche und politische Missstände.

Wenn der Sommer doch noch weit ist", sagt einem das meteorologische Gefühl. Aber Konstantin Wecker auf Stippvisite in Wien ist bester Laune. Aufrütteln will er mit Text und Musik. Aufmerksam machen auf inakzeptable Missstände, in der Überzeugung: „Man muss sich die Utopie einer gewaltfreien Gesellschaft bewahren.“ Mit alten und neuen Liedern seines aktuellen Albums „Zwischen Wut und Zärtlichkeit“ ist er ab 12. Juli mit Band auf Österreich-Tournee und im November erneut live unterwegs mit Angelika Kirchschlager und "Liedestoll".

KURIER: Sie gehen mit „Wut und Zärtlichkeit“ wieder auf Tournee. Was versetzt Sie derzeit in Wut außer die deutschen Medien, die aus Ihrer Trennung von Ihrer Frau Annik im Sommerloch Schlagzeilen machen?
Konstantin Wecker:
Die sich immer mehr verdichtende, fast schon verschwörerische neoliberale Entwicklung – eine Ungerechtigkeit sondergleichen. Innerhalb kürzester Zeit wurden durch Privatisierungsprojekte Errungenschaften, die sich Arbeiter und Angestellte im Lauf von Jahrzehnten erkämpft haben, mit einem Handstreich weggewischt.

Dazu kommen die Machenschaften der Geheimdienste ...
Da kann uns auch niemand sagen, dass Deutschland da nicht verwickelt gewesen wäre. Und die Geheimdienste haben sich die großen Konzerne schon lange gekauft. Wer will eigentlich so viel wissen? Nicht nur der Staat. Auch jene, die auf ihre Pfründe achten, die sie sich jetzt mit noch mehr Schnäppchen besorgen können, weil man ihnen alles so leicht gemacht hat in Griechenland und in Spanien, wo man jetzt so billig kaufen kann wie nie zuvor.

Und Peer Steinbrück steht mit der SPD in Deutschland scheinbar auf verlorenem Posten?
Er ist eloquent, keine Frage, aber er hat kein Gefühl. Man glaubt nicht, dass er ein empathisches Wesen ist. Dieter Hildebrandt sagte einmal, Steinbrück sei der perfekte Minister. Er führt Anweisungen sehr gut aus, bleibt im Hintergrund und zieht an den Strippen.

Das heißt, wir werden Angela Merkel länger haben als Helmut Kohl?
Ja, wir werden Merkel länger haben. Ich glaube, es läuft, darauf richten sich alle schon ein, auf eine schwarz-rote Koalition hinaus.

Und Italien ist unregierbar?
Da helfen uns zurzeit die Richter. Es scheint so zu sein: Wenn Berlusconi auch noch seinen nächsten Prozess verliert, könnte es sein, dass ihm doch das Volk ein bisschen davonläuft. Ins Gefängnis geht er nie: Denn mit über 70 kommt man in Italien nicht mehr in den Knast.

Wie erklären Sie sich das Phänomen Berlusconi?
Das ist meines Erachtens etwas völlig Neues: Ich habe mit dem Pippo Pollina darüber gesprochen. Berlusconi ist in der Geschichte der Menschheit der erste Mann, der einen Staat nicht als Diktator sondern als Privatbesitz verwendet, um seine Privatgeschäfte zu organisieren und zu optimieren.

Und wo führt das hin?
Wie sagte ein Freund von mir neulich: Wenn die Weltrevolution nicht kommt, und die kommt nicht, wie man sieht, dann kommt der Weltputsch. In der Situation befinden wir uns. In Istanbul wird CS-Kampfgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Aber nicht nur dort: Auch in allen NATO-Ländern ist alles dazu vorbereitet.

Sie sind ja selbst bei Demos?
Ja. Ich habe es in Frankfurt erlebt, ich war da einmal bei der Occupy-Bewegung dabei. Da wird genauso draufgehauen. Nur dass die deutsche Presse jetzt lieber Istanbul vorführt, weil man da ein bisschen gegen Erdoğan lästern kann. Dabei passiert bei uns genau das Gleiche wie in der Türkei. Nicht in der Dimension, aber in genau der gleichen Brutalität. Es wird Kapital geschützt. Wenn es um den Schutz des Kapitals geht, gibt es keine Gnade mehr.

Wovor haben Sie Angst?
Ich glaube, es war Hannah Arendt, die sagte: Ich habe keine Angst vor neuen braunen Hemden sondern vor Faschisten, die sich Demokraten nennen. Und im Namen der Demokratie alle Schweinereien machen.

Etwa die USA mit Guantanamo.
Ja. Aber am meisten beunruhigt mich: In einer Meinungsumfrage käme wahrscheinlich heraus, dass es den meisten Leuten ohnedies wurscht ist. Die brauchen keine Meinungsfreiheit, die wollen nur ihren Job und ihre Ruhe. Alles andere brauchen die gar nicht. Ich glaube, dass die Demokratie gar nicht mehr so gefragt ist. Für uns war sie noch ein Heiligtum.

Zurück zur Kunst: Wie haben Sie Angelika Kirchschlager musikalisch rumgekriegt für das gemeinsame Projekt „Liedestoll“?
Die Angelika ist seit Langem eine bekennende Wecker-Liebhaberin. Also, es war nicht schwer, sie rumzukriegen. Und bei Proben in meinem Haus in der Toskana haben wir entdeckt, dass wir ein Programm machen können, bei dem sich keiner verbiegen muss. Ich muss nicht auf Dietrich Fischer-Dieskau machen, und sie muss nicht plötzlich Hardrock singen.

Könnte sie?
Ja. Sie kann ohne Attitüde auch einfach mal die Atemstütze weglassen und ganz unopernhaft und ungeschult singen. Das können nicht viele Opernsänger.

Thomas Quasthoff kann’s.
Perfekt. Der kann umschalten. Peter Hofmann konnte es nicht. Angelika wird bei „Liedestoll“ natürlich einige ihrer Glanzlieder singen. Da mische ich mich auch nicht ein. Ich werde sie auch nur begleiten am Klavier, wenn’s Weckerischer wird. Das rein Klassische macht Jo Barnikel.

Wo sind dann bei euch die Überschneidungen?
Beim „Erlkönig“, wenn ich den Erlkönig gebe. Da muss ich auch nicht auf Opernsänger machen. Dann habe ich „Du holde Kunst“ wie ein Wecker-Lied gesungen, auch in meiner Art zu verzögern und zu verschleifen. Jo Barnikel hat am Flügel das gleiche Lied noch einmal in der originalen Schubertversion gemacht, und das passt so gut zusammen. Das ist so spannend, dass wir sagten: So kann es gehen. Es ist ein Experiment. Ich kann mir vorstellen, dass es für Angelikas Publikum schwerer sein wird, mich zu akzeptieren als umgekehrt, also dass meine Fans es leichter haben mit der Angelika.

Konstantin Wecker & Band mit „Wut und Zärtlichkeit“ in hoffent- lich lauen Sommernächten: sanfte, melancholische Lieder, vertonte Gedichte u. a. von Bertolt Brecht, und rockige Songs, in denen sich die ganze Wut über Politik, Ge- walt, Luxuskonsumverhalten oder Spießer entlädt: am 12. 7. in Finkenstein, am 13. 7. in Graz Kasematten und am 14. 7. in Grafenegg im Wolkenturm.
Mezzo-Star trifft Liedermacher: Ein Plädoyer für das Lied mit Konstantin Wecker und Angelika Kirchschlager.

Termine:
24. 11. - Graz
27. und 28. 11. - Wien
29. 11. - Eisenstadt
30. 11. - Linz

Kommentare