Klimts letzte Geheimnisse

Klimts letzte Geheimnisse
Klimt-Jahr: Alfred Weidinger, Klimt-Experte und Vizechef des Belvedere, über Entdeckungen, Verluste und seine Hoffnungen im Jubeljahr.

Das Klimt-Jubiläumsjahr 2012 beginnt nicht in Wien, sondern in einem Auktionssaal bei Sotheby’s in London. Am kommenden Mittwoch wird dort das Gemälde "Seeufer mit Birken" versteigert. Es war zuvor 109 Jahre lang unentdeckt in einer Privatsammlung gehangen.
Doch es war Alfred Weidinger, der das Bild nach einer Anfrage der Besitzer ans Licht befördert und seine Echtheit bestätigt hatte. Der Vizedirektor des Belvedere ist als Autor des Werkkatalogs der Klimt-Gemälde die wichtigste Instanz für das malerische Werk des Künstlers, der im Juli vor 150 Jahren in Wien geboren wurde.

"Die Entdeckungen, die es noch geben kann, kann man wahrscheinlich an einer Hand abzählen", sagt Weidinger im KURIER-Gespräch. Eine konkrete Hoffnung hat der Experte: In einem Foto der Secessions-Ausstellung 1902, in dem das nun auktionierte "Seeufer" zu sehen ist, ist auch noch ein zweites Landschaftsgemälde abgebildet, dessen Verbleib ungeklärt ist. "Das ist ein Bild, dem ich auf der Spur bin – und es sieht so aus, als würde auch die zu einem Ende führen", sagt Weidinger.

Der Forscher, der am Attersee aufwuchs und so schon früh viele Klimt-Landschaftsmotive aus jener Gegend intuitiv wiedererkannte, weiß auch einiges über den Verbleib der Werke, die aus dem Belvedere an die Erben ihrer einstigen Besitzer zurückgegeben wurden. Viele wurden zu Rekordpreisen an – meist anonyme – Bieter verkauft (siehe Grafik).

Die Klimt-Käufer

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"Es gibt einige Private, die kein Problem damit haben, Bilder zu verleihen", sagt Weidinger. "Schwieriger wird es, wenn Konsortien aus Geldanlagegründen kaufen. Dann wandern die Bilder meist nach Genf ins Zollfreilager – das ist, würde ich meinen, nach dem Belvedere die zweitgrößte Klimt-Sammlung der Welt." Auch bei den meisten Werken aus dem Bestand der Familie Bloch-Bauer, die im November 2006 bei Christie’s Rekordsummen einbrachten, stünden Anlegergruppen hinter dem Kauf, verrät Weidinger. Da er bei der Übergabe der Werke eingebunden war, kenne er jedoch Ansprechpersonen. "Auch Frau Dr. Husslein (Direktorin des Belvedere, Anm.) ist sehr rege, es ist ihr Ziel, eines dieser Bilder irgendwann wieder nach Wien zu holen."

Eine "echte, repräsentative Retrospektive" sei angesichts solcher Zugangshürden selbst im Klimt-Jubiläumsjahr nicht möglich, erklärt Weidinger. Auch österreichische Sammler, die noch Klimt-Werke besitzen, würden dies eisern verschweigen, weil sie ein Ausfuhrverbot durch das Bundesdenkmalamt fürchten: Ein solches würde den Verkaufswert eines Werks enorm vermindern.

Kunsthistorikern bleibt also nur, "das ganze Feld zu bearbeiten", sagt Weidinger. Klimts Frühwerke, seine privaten Korrespondenzen, seine Skandale – das sind nur einige Themenschwerpunkte von Ausstellungen, die Wiens Museen im Jubeljahr geplant haben. Für Weidinger liegt in dieser Vielzahl an Ansätzen die Chance des Jubiläums abseits von Tourismus und Marketing. "Da kommt man auf viele Sachen drauf, und das Beziehungsgeflecht, das sich dann ergibt, bietet wieder Ansätze für neue Projekte." Weil Weidinger die Erkenntnisse seiner Kolleginnen und Kollegen abwarten möchte, soll auch die Neuauflage seines Werkkatalogs erst im Herbst erscheinen. Parallel dazu arbeitet der Experte an einem Buch über Klimt und die Fotografie, eines der aus seiner Sicht großen unerforschten Gebiete.

Stilles Wasser

"Klimt war ein stiller, ruhiger Mensch, der fast menschenfremd war", erzählt Weidinger. "Er hat nach Fotos gemalt, auch bei seinen Porträts – er hat das Modell nicht in dieser ständigen Präsenz ertragen. Das Modell ist in sein Atelier gekommen, und dann hat er Zeichnungen gemacht – 20, 30, 40 davon, das ist sehr schnell gegangen. Dann war der Fall erledigt, er hat nach einer Porträtfotografie gefragt und das Bild nach der Fotografie fertiggestellt."

Die amourösen Abenteuer, die sich in Klimts Atelier zwischen dem Maler und seinen Modellen des Öfteren entsponnen, regen dennoch bis heute die Fantasie der Klimt-Bewunderer an. Über eine oft vermutete Liebesbeziehung zwischen dem Maler und der Mäzenin Adele Bloch-Bauer – der einzigen Frau, die Klimt zwei Mal porträtierte und die ihm möglicherweise als Vorbild für das Werk "Judith" (1901) diente – will sich Weidinger nicht definitiv äußern: "Ich habe darauf noch keinen Hinweis gefunden, und ich kenne wirklich viele Dokumente."

Das weitere Schicksal der Familie Bloch-Bauer allerdings ist heute gut erforscht – entbrannte doch um fünf Klimt-Meisterwerke aus dem Besitz der Familie die wohl langwierigste und hitzigste Auseinandersetzung seit Erlass des Kunstrückgabegesetzes im Jahr 1998.

Das Versäumnis

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Dass sich die Kunstgeschichtsschreibung in Österreich lange Zeit nicht für die Geschichte der großbürgerlichen Gönner Klimts, für die späteren Besitzer seiner Bilder und deren oft tragisches Schicksal interessierte, sieht Weidinger rückblickend als schweres Versäumnis. "Alle sind nur vom Kunstwerk ausgegangen und haben alles rundherum vergessen", sagt er. "Hätten die Leute damals ihre Hausaufgaben gemacht, hätte die ganze Restitutionsgeschichte ein anderes Ende genommen – auf jeden Fall ein eleganteres und edleres."

Durch die ab 1998 eingesetzte Provenienzforschung ist jedoch viel geschehen. "So bedauerlich es für manche Häuser ist, dass sie Kunstwerke verloren haben, so gut ist es in wissenschaftlicher Sicht, weil die penible Aufarbeitung viele Lücken gefüllt hat", sagt Weidinger. "Auf diesen Grundlagen können wir völlig neu aufbauen. Ich denke, wir reden nach diesem Jahr von einem ganz anderen Klimt."

Pioniere der Moderne: Ausstellung zur Arbeit von Gustav Klimt und Josef Hoffmann,
kuratiert von Alfred Weidinger. Noch bis 4.3., Unteres Belvedere. www.belvedere.at

Auktion "Seeufer mit Birken" (1901), Schätzwert 6–8 Mio. Pfund (7,03–9,37 Mio. €), bei Sotheby’s London am 8. 2., 20 Uhr MEZ. Info und Live-Stream: www.sothebys.com

Gustav Klimt im Kunsthistorischen Museum:
Blicke auf die Entstehung eines Frühwerks im Treppenaufgang des Museums (1890). 14. 2. bis 6. 5., KHM. Infos: www.khm.at

Klimt persönlich: Bilder, Briefe, Einblicke. Die Schau zeigt neben Kunstwerken u.a. Klimts Postkarten an seine Partnerin Emilie Flöge. Leopold Museum, 24.2. bis 27.8. www.leopoldmuseum.org

Zeichnungen:
Die Albertina zeigt ihre bedeutende Sammlung von Klimt-Blättern, ergänzt durch Leihgaben. 14. 3. bis 10. 6. www.albertina.at

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