Klassik und Virtual Reality: Konzertbesuch mit Datenbrille

Eroica im Palais Lobkowitz
Die neue Technologie soll die Klassikbranche erobern.

Die Entscheidung wird nicht leichter für Klassikfreunde: Zu dem ohnehin überwältigenden Angebot, das Abend für Abend in Wien zum Besuch verlockt, könnten sich in gar nicht ferner Zukunft weitere Attraktionen gesellen. Etwa ein Beethoven-Konzert im Kärntnertortheater.

Ja, genau, in jenem Theater, wo 1824 die neunte Symphonie Beethovens uraufgeführt – und das in den 1870er Jahren abgerissen wurde.

Es geht hier aber nicht um einen neuen Klassikbau, der für Wien geplant wäre. Sondern um eine neue Front der Klassik-Vermarktung, die, wie im Technologiesektor üblich, Großes verspricht.

Auf die Brille

Dank Virtual Reality (VR) sollen in Zukunft für Klassikfreunde ganz neue Konzerterlebnisse möglich sein. Man wird auf der Opernbühne direkt neben den Sängern stehen, oder auch an Orten, die es nicht (mehr) gibt, Konzerte besuchen können.

Dazu braucht man nur eine spezielle Brille und Kopfhörer, eine Handy-App – und schon fühlt man sich mitten im Konzertsaal. Durch Kopfbewegungen kann man sich dort umschauen, und auch durch den Raum bewegen.

Und die VR-Technologie bietet auch die theoretische Möglichkeit, zu interagieren, im Programmheft blättern, etwa. Ganz so weit ist es aber noch nicht. Derzeit gibt es im Klassik-Bereich vorwiegend 360-Grad-Videos, Konzertfilme also, die mit speziellen Kameras aufgenommen wurden, aber keine Interaktion zulassen. So kann man bereits u. a. Gustavo Dudamel und das L. A. Philharmonic Orchestra via VR besuchen.

Ein Wiener Unternehmen beschäftigt sich mit den weiterführenden Möglichkeiten, die die VR-Technologie für die Klassik bieten kann. Dem KURIER führten Frank Stahmer und Kurt Danner von Bellevue Virtual Media einen VR-Film vor, in dem Dirigent Martin Haselböck und sein Orchester, die Wiener Akademie, Beethovens "Eroica" am Uraufführungsort, dem Palais Lobkowitz, spielen. Setzt man die VR-Brille auf, sitzt man plötzlich ganz knapp neben Haselböck, kann in seine Noten und den Musikern auf die Finger schauen. Klassik, aus einer ganz neuen Perspektive heraus.

Asien

Dass ausgerechnet die Klassikbranche – die ansonsten nicht als die innovativste gilt – beim Hype um die Virtual Reality an vorderster Front mitspielt, ist einer Marktverschiebung zu verdanken, die mit VR wenig zu tun hat. Mit den neuen Angeboten zielt man nicht vorwiegend auf das europäische oder nordamerikanische, sondern das asiatische Publikum. Und damit auf jenen Markt, nach dem die ganze Klassikbranche schielt, gibt es dort doch ein großes und vor allem junges (!) Klassikpublikum.

Auch das Wiener Start-up hat den Blick gen Asien gerichtet und sucht dort, so wie in Europa, Partner und Investoren (derzeit finanziert man sich aus Eigenmitteln).

Vorerst arbeitet man daran, Dramaturgien für die VR-Konzertfilme zu entwickeln, damit der Zuhörer auch über den ersten Wow-Effekt hinaus interessiert bleibt.

Aber die Möglichkeiten scheinen endlos: Das Wiener-Akademie-Projekt "Resound Beethoven", das die Werke des Komponisten am Ort der Uraufführung präsentiert, war Ausgangspunkt für die Idee, das Kärntnertortheater virtuell wieder aufleben zu lassen. Dafür will man mit einer Soundfirma kooperieren, die anhand von Bauplänen und Material-Listen rekonstruieren kann, wie ein Raum geklungen hat.

Und derartige virtuelle (Re-)Konstruktionen von Klassik-Orten könnten noch weitergehen: Von der gänzlich im Computer entstehenden Opernproduktion bis hin zum Auftritt für Orchester in den virtuellen Ausgaben der berühmtesten Konzerthäuser reichen die künftigen Möglichkeiten.

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